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House of God

House of God

Titel: House of God Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel Shem
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wenn es anders wäre?«

12
    Überall standen Weihnachtsmänner, sie durchsetzten die harte Realität der Sozialhilfe und Kriminalität mit Zeichen der Phantasie und der Erinnerungen. Es gab einen militanten Weihnachtsmann der Heilsarmee, der seine Glocke vor dem obligatorischen, tuberkulösen Posaunisten schwang. Zur Hauptverkehrszeit gab es einen reichen, fülligen Pascha-Weihnachtsmann in einem Caddy mit Chauffeur. Es gab sogar einen Weihnachtsmann, der ziemlich schizoid aussah, aber immerhin ein Weihnachtsmann war. Er ritt auf einem fröstelnden Elefanten durch den Park. Und natürlich gabe es eienen Weihnachtsmann in
House of God,
der Fröhlichkeit inmitten des Schreckens und der Schmerzen versprühte.
    Der beste Weihnachtsmann war der Dicke. Mitten im Geschnatter seiner Ambulanzpatienten stand er da wie ein fetter Messias. Bei seiner brüsken Art und seinem rauhen Lachen überraschte es mich, wie sehr seine Patienten ihn liebten. An einem Nachmittag vor Weihnachten ging ich mit ihm zur Ambulanz.
    »Natürlich lieben sie mich«, sagte der Dicke, »tut das nicht jeder? Solange ich lebe, haben mich immer alle geliebt, ausgenommen die Neider. Sie kennen doch das Kind, das auf dem Spielplatz von anderen Kindern umringt ist? Das Kind, zu dem die anderen nach Hause kommen? Das war Dickie in Flatbush. Jetzt sind diese Kinder die Patienten. Ist dasselbe. Sie lieben mich alle. Das ist wunderbar!«
    »So grob und zynisch, wie Sie sind?«
    »Wer sagt das? Und wenn schon?«
    »Warum lieben sie Sie dann?«
    »Darum. Ich bin ehrlich mit ihnen und bringe sie dazu, über sich selbst zu lachen. Statt der grimmigen Selbstgerechtigkeit à la Leggo oder statt Putzels weinerlichem Händchenhalten, das ihnen das Gefühl gibt, sie müßten bald sterben, gebe ich ihnen das Gefühl, immer noch ein Teil des Lebens zu sein, ein Teil des großen, verrückten Systems. Sie sind nicht allein mit ihren Krankheiten, die meistens gar nicht existieren. Bei mir gehören sie noch zur menschlichen Spezies.«
    »Und Ihr Sarkasmus?«
    »Wer ist denn nicht sarkastisch? Ärzte sind ganz gewöhnliche Menschen, sie tun nur so, als wären sie etwas anderes, um sich gut zu fühlen. Jesus, ich mache mir Sorgen um dieses Forschungsprojekt, obwohl – können Sie sich denken, welches Problem ich habe?«
    »Nein, welches denn?«
    »Mein Gewissen. Können Sie sich das vorstellen? Daß ich im VA Hospital die Bundesregierung betrüge, läßt mich erzittern. Das ist bekloppt. Ich mache schließlich nur vierzig Prozent von dem, was ich könnte. Es ist furchtbar.«
    »Schrecklich«, sagte ich, und als wir uns der Ambulanz näherten, überkam mich wieder diese niederdrückende Vorstellung, mich mit hypertensiven, alleinstehenden LAD in GAZ und ihren mörderischen Forderungen an mich beschäftigen zu müssen, und ich stöhnte.
    »Was ist los?« fragte Dickie.
    »Ich weiß nicht, ob ich es durchhalte, mir für alle diese Frauen in meiner Ambulanz etwas einfallen zu lassen.«
    »Was? Sie versuchen, etwas für sie zu tun?«
    »Natürlich, Sie denn nicht?«
    »So gut wie nie. Ich tu überhaupt nichts in meiner Ambulanz. Warten Sie, gehen Sie noch nicht hinein«, sagte er und zog mich hinter die Tür. »Sehen Sie die Leute da?«
    Ich sah sie. Im Warteraum war eine richtige Menschenansammlung, eine Mischung wie auf einem
Bar Mitzvah
bei den Vereinten Nationen.
    »Meine Ambulanzpatienten. Ich tue medizinisch nichts für sie, und sie lieben mich. Wissen Sie, wieviel Schnaps, heiße Ware und Lebensmittel ich von denen zu
Hannukah
und Weihnachten geschenkt bekomme? Und das nur, weil ich medizinisch nichts mit ihnen mache.«
    »Schon wieder sagen Sie, die Behandlung sei schlimmer als die Krankheit.«
    »Nein. Ich sage, die Behandlung
ist
die Krankheit. Die Hauptquelle der Krankheit in dieser Welt ist diese Krankheit der Ärzte, ihr Drang, helfen zu wollen, und ihr trügerischer Glaube, sie könnten es schaffen. Es ist nicht leicht, nichts zu tun, wenn die Gesellschaft jedem erzählt, daß der Körper an allen Ecken und Enden Mängel hat und zur Selbstzerstörung neigt. Die Leute fürchten ständig, sie stünden schon am Rand des Grabes und sollten lieber gleich zu einer Routineuntersuchung laufen. Untersuchungen! Wieviel haben Sie jemals bei einer Untersuchung rausgekriegt?«
    »Nicht besonders viel«, sagte ich und dachte: Er hat recht.
    »Natürlich nicht. Die Leute erwarten vollkommene Gesundheit. Das ist eine flotte, nagelneue Madison-Avenue-Erwartung. Und es ist unser Job,

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