House of God
Erbrochenem und Blut bespritzt verließ ich den Raum, in den die Frau ihren Mann hatte sterbend verschwinden sehen. Mit begierigem, flehendem Blick versuchte sie jetzt, in meinem Gesicht zu lesen, was ich ihr sagen würde. Lebendig oder tot?
Als ich ihr sagte, daß er lebte und auf der Intensivstation war, brach sie in Tränen aus. Sie packte mich an den Schultern, umarmte mich und schluchzte und dankte mir dafür, daß ich sein Leben gerettet hatte. Aufgewühlt sah ich über sie hinweg und erblickte Abe, der zu schaukeln aufgehört hatte und uns mit dem laserscharfen Strahl seiner Augen anstarrte. Ich ging durch die automatische Tür zurück und dachte daran, wie oft ich wohl noch würde sagen müssen: »Er ist tot.« Daß ich ihr genau das hätte sagen müssen, wenn sie nur fünf Minuten später gekommen wäre, hatte ich ihr verschwiegen. Da, wo der Krankenwagen voller Hoffnung hinbraust, da war ich jetzt.
Die Dinge liefen gut. Ich watete weiter durch die nicht vorbereiteten Nicht-Notfälle und versuchte, eine gute Wand zu sein. Am frühen Abend setzte sich Gath neben mich und sagte:
»Hey, Jungäh, hab da was für Sie. Überraschung. Augen zu, Hände auf. Dreima dürfense raten, wasses is.«
Ich fühlte ein feuchtes, weiches, biegsames, warmes Ding in meine Handfläche fallen und sagte:
»Ein mageres Würstchen.«
»Nein. Ein Schnappi.«
Ich öffnete die Augen. Tatsächlich.
»Noch warm, wollte grade platzen.« sagte Gath. »Operationen sind gut für die Menschen, häy? Weil Sie mir helfen, Goldjunge, helf ich Ihnen auch. Einfach Bescheid sagen. Jäahh?«
Das war neu. Sich im
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wohl fühlen? Neugierig sein auf alles, was durch die Tür hereinkam? Ein Leben retten? Zwei? Ich war stolz. Die Last, die Unbezähmbaren, Unbehandelbaren, nicht Verlegbaren und Unerwünschten behandeln zu müssen, wich der schönen Phantasie, ein richtiger Arzt zu sein, der mit richtigen Krankheiten zu tun hat.
Gegen Mitternacht saß ich in der Stationszentrale und wartete auf Motorrad-Eddie, meine Ablösung. Ich unterhielt mich mit den beiden Polizisten, die auf ihre erste Tasse Kaffee hereingekommen waren, bevor sie sich den Schrecken der Nacht stellten.
»Man hat Sie angekotzt«, sagte Gilheeny.
»Ihre Feuertaufe«, sagte Quick, »wenn Sie eine römisch-katholische Metapher gestatten.«
»Oh ja, es hat gereicht, ich hab die Nase gestrichen voll.«
Die Nachtschwester kam noch einmal zu mir. Sie zeigte auf ein besorgtes Paar, das wartend in der Tür stand. Sie sagte, man habe ihnen erzählt, ihre Tochter sei ins
House
gebracht worden. Überdosis.
»Wir haben hier keine Überdosis gehabt«, sagte ich.
»Ich weiß, habe nachgesehen, aber sprechen Sie lieber mit ihnen.«
Ich ging hin. Wohlhabende Leute, Juden, er Ingenieur und sie Hausfrau. Sie machten sich Sorgen um ihre Tochter, eine Schülerin der Mädchenschule gleich gegenüber. Ich sagte ihnen, ich würde das MBH anrufen, ob sie dort vielleicht aufgenommen worden war. Ich tat es. MBH sah nach. Ja, sie war dorthin gebracht worden: Bereits tot eingeliefert.
Die beiden Polizisten sahen mich an. Ich war verstört. Ich ging zu den Eltern und wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Sie ist ins MBH gebracht worden. Gehen Sie dorthin.«
»Gott sei Dank«, sagte die Frau. »Sheldon, laß uns gehen.«
» OK . Danke, Doktor. Vielleicht kann man sie, wenn es ihr besser geht, hierher überweisen. Dies ist unser Krankenhaus, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ja«, sagte ich, unfähig, es ihnen geradeheraus zu sagen. »Vielleicht geht das.«
Ich ging zurück zur Stationszentrale und setzte mich. Ich fühlte mich schuldig, weil ich so feige gewesen war, und dachte an Menschen, die ich gekannt hatte und die nun tot waren. Was auch immer das bedeutete.
»Wie hart ist es doch, ehrlich mit dem Tod umzugehen«, sagte Gilheeny.
»Härter als der harte Ellenbogen eines Gomers«, sagte Quick.
»Und doch bringt diese Härte das Weiche in uns allen zum Vorschein«, sagte der Rotschopf. »Die Seele in uns, die uns bei Geburten, Hochzeiten und Totenwachen weinen läßt und in dem traurigen Augenblick, wenn die Kieselsteine des Totengräbers auf dem Sargdeckel tanzen. Und sie macht uns menschlicher. Diese Notaufnahme ist gar kein so übler Ort, oder?«
»Keineswegs ein übler Ort«, sagte Quick.
Motorrad-Eddie kam und wurde von den beiden Polizisten lärmend begrüßt. Ich sagte gute Nacht und ging durch den Warteraum hinaus. Der irre Abe hörte auf zu schaukeln und nagelte
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