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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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denkst du dir eigentlich? Du machst fortwährend unsere Arbeit lächerlich, benimmst dich gegenüber den Kolleginnen in einer Weise   … Und jetzt, wo du mich zum Handeln zwingst, muss ich mir auch noch Vorwürfe anhören   …»
    Es war Ernst. Tiefster Ernst. Chef würde so mit mir nicht umgehen, wenn er mich im Geiste nicht schon zum Teufel geschickt hätte.
    «Ich brauche diese Arbeit. Ich habe Familie», sagte ich und fand, dass es ein bisschen wie «Ich habe Masern» klang. «Ich muss an meine Kinder denken.»
    «Du hättest vorher an deine Kinder denken sollen. Jetzt muss ich an meine Kinder denken. Das wirst du sicher verstehen.»
    «Du machst einen schrecklichen Fehler.»
    «War das eine Drohung?»
    «Nein, um Gottes willen. Wo denkst du hin?»
    «Apropos du», sagte Chef, «ich habe schon länger dieIdee, dass es zielführender sein könnte, unserem Umgang einen offizielleren Ton zu geben. Ich denke, dass wir, egal, wie und wann du wieder zum Team stößt, das ‹Sie› einführen sollten!»
     
    Es war vierzehn Uhr, als ich die Tür zu Chefs Büro schloss. Die Sekretärin hielt kurz inne und blickte mich mit ihrem Mischgesicht an, aus dem sich jedermann Verständnis mitnehmen konnte wie Bonbons aus einem Glas im Kaufmannsladen. An der Wand hingen Autogrammkarten der Moderatoren, ein paar Schnappschüsse von mäßig putzigen Reportereinsätzen (ein Ferkel nuckelt am hingehaltenen Mikrofon) und Babyfotos von den glücklichen Müttern der Redaktion. Chef wollte, dass wir uns wie eine Familie fühlten. Ich registrierte fein, dass genau das mich abstieß. Diese Leute waren nicht meine Familie. Nicht mal meine eigene Familie war immer meine Familie.
    Am Kopierer standen Bettina und der dicke Chef vom Dienst. «Wie vergrößert man hier?», fragte Bettina und riss die Arme genervt auseinander. Der dicke Chef vom Dienst griff schmunzelnd unter ihrem Arm hindurch. «Was willste dir denn vergrößern lassen?», schnaufte er froh und drückte eine Taste. Der Kopierer funzelte leise grummelnd über das Papier. Bettina rollte mit den Augen, sagte aber trotzdem danke.
    Er war ein alter Sack, wie er im Buche stand. Ganz feiste Freundlichkeit – ein Roger-Whittaker-Nachbau   –, wackelte er an den Praktikantinnen vorbei, hielt ihnen kalte Colaflaschen an die Hälse, schnipste gegen die Zeitung, die sie lasen, um sie «juchzen», um sie «zucken» zu sehen. Ein «Na, siehste woll! Geht doch!»- Wangenkneifer, ein notorischerFurzkissen-Onkel, dem es bei jedem Schabernack noch einmal tüchtig im Gemächt bommelte.
    Irgendwann hatte sein Begehren angefangen, sich in dieses krötenhaft kleine, bucklige, hopsende Etwas zu verwandeln. Dieses kleine Begehren hatte sich losgemacht, es springteufelte durch sein ewiges Zwinkern und Brauenwinken, es machte ihn lächerlich. Aber bei ihm sagte niemand etwas. Seine Libido wurde palliativ behandelt – der arme, alte, dicke Mann.
    Ich stand vor Chefs Zimmer, deklassiert, verfragwürdigt, in einer Joker-Jeans mit hohem Hüftschnitt, damit man den Bauchansatz nicht so sah, in Trekkingschuhen mit alberner Outdoor-Verwegenheit. Ich hätte nie gedacht, dass mein Leben mal von einer derart peinlichen Schäbigkeit sein würde.
    Zurück im Büro, hoffte ich, dass niemandem auffiel, in was für einem katastrophalen Zustand ich war. Ich raffte meine Sachen zusammen und warf sie in die Tasche, als wäre ich in Eile, ja, in Gefahr, einen Termin zu verpassen. Dann verließ ich das Haus, den Hof, den Sender, in dem seit fünfzehn Jahren mein Arbeitsplatz gewesen war. Mein Leben war plötzlich gekippt wie ein überdüngter Tümpel. Ich konnte es nicht fassen.
    Mit großen Schritten eilte ich durch die Toreinfahrt, aber nur, um zwei Meter dahinter abrupt stehen zu bleiben. Ich hatte ja gar nichts, wohin ich gehen könnte. Ich musste zwar Mascha aus dem Kindergarten abholen, aber es war noch viel zu früh. Nach zwei, drei Minuten banger Unschlüssigkeit – hoffentlich sah mich niemand hier draußen herumstehen – beschloss ich, nicht sofort zur Haltestelle zu gehen, sondern erst einen kleinen Spaziergang durch das nahe Wohnviertel zu machen. Es war Ende August. Alles warstaubgrün und voll von trockenen Samenkapseln. Der Sender lag in der Vorstadt, wo man sich noch vor dem Krieg rote Klinkerhäuschen in den Sand gebaut hatte, kleine Kiefern eingesetzt, die jetzt, nach einem Lebensalter, alles überschatteten, den Rasen verdursten ließen und mit dem Kehricht langer brauner Nadeln bedeckten. Die

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