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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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«Hier steht es: ‹Sexistischer Überfall eines Fernsehreporters. Heute um 14   Uhr wurde unsere Genossin Rikki Schroedel Opfer einer sexistischen Attacke. Ein Reporter des hiesigen Landfunks täuschte Interesse an einem Interview mit der
ACA -
Aktivistin vor, um sie dann in einem geeigneten Moment zu Boden   … Mein lieber Scholli   … Und sich zwischen ihre Beine zu   …› Man möchte es fast nicht glauben», blickte Chef wieder zu mir, «aber hier steht es.» Er zeigte mit großer Geste auf den Monitor.
    Ich sagte: «Okay, ich habe ihr ins Haar gefasst, aber der Rest war die Uhr.»
    «Der Rest war die Uhr? Interessant. Was für eine Uhr?», fragte Chef.
    «Meine Uhr. So ein No-Name-Teil, aber mit eigentlichganz edler Optik. Das Einzige, was daran wirklich billig war, war der Verschluss des Stahlarmbands. Der stand immer ein bisschen ab. Normalerweise kein Problem, schlackert die Uhr halt, aber durch den Tritt in die Eier und mein, entschuldige, irgendwo dann ja auch verständliches Zurückzucken hat sich die Haarsträhne in dem Armband verfangen. Deswegen sah das aus, als wenn ich sie zu Boden gerissen hätte. Dabei bin ich nur umgefallen, und sie musste halt mit. Ich wollte ihr nix tun. Wir waren verfangen.»
    Chef spitzte den Mund, als müsse er sich mittels einer speziellen Atemtechnik davor bewahren, die Fassung zu verlieren, und setzte dann konzentriert die Fingerspitzen gegeneinander. «Das Problem ist nur: Es gibt keine Uhr. Auf dem Foto hier auf der Website: keine Uhr. Hier bei dir, an deinem Handgelenk: keine Uhr.»
    «Das kleine linke Biest hat mir die Uhr abgezogen. Weißt du überhaupt, was da los war?»
    Chef zuckte mit den Schultern. «Kann sein. Kann aber auch sein, dass diese Uhr gar nicht existiert, dass diese Uhr womöglich nur ein Symbol ist? Ein Symbol dafür, dass eine bestimmte Zeit um ist.» Offenbar hatte Chef eine lyrische Ader. Was machte er eigentlich hier? Hätte ja quasi alles werden können. Bei den Talenten.
    «Warum sollte ich eine militante, vegane, vielleicht sogar lesbische Kettenraucherin bei einem Drehtermin in ihrem eigenen Infoladen überfallen? Hältst du mich für völlig verrückt?»
    «Ich wünsche uns allen von Herzen, dass dem nicht so ist. Aber beantworte mir bitte diese eine Frage: Hast du ihr ins Haar gefasst, ohne dass sie darum gebeten hätte?»
    «Ja, aber es war nicht so, wie du vielleicht   …»
    «Mehr will ich gar nicht wissen. Die Vorfälle der jüngsten Zeit – die Sache mit Nergez, heute die Attacke auf diese Politaktivistin   –, ich denke, dass du Schwierigkeiten hast. Hormonelle Schwierigkeiten, um ganz ehrlich zu sein.»
    Da war es wieder.
Die Internationale Der Ganz Ehrlichen
trat auf den Plan. Dem war schwer zu entgehen. Jetzt war an mir alles Symptom. Schweigen oder sprechen, vernünftig bleiben oder ausrasten.
    «Ich habe keine hormonellen Schwierigkeiten. Mein Sexleben ist völlig in Ordnung. Frag Dorit.»
    «Ach, was wissen denn Ehefrauen? Die wissen doch nun wirklich am wenigsten   …» 1 , verkündete Chef in sonderbarer Freimütigkeit, und ich hätte gern erfahren, aus welcher trüben Quelle ihm dieses Wissen zugeflossen war. «Manchmal entwickelt sich im Laufe der Jahre da etwas. Wird zur fixen Idee. Nimmt überhand! Ich will mir später nicht vorwerfen lassen, ich hätte nicht reagiert.» Das Chef-Orakel stand auf und ging ans Fenster. «Es ist meine Aufgabe, Schaden von der Redaktion abzuwenden», gelobte Chef feierlich der Fensterscheibe. Dann begann er Stimmen zu hören. «Es gibt Stimmen, die sagen, dass du eine Auszeit nehmen solltest. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass du nicht mehr tragbar bist.»
    «Ich kenne die beiden Kollegen.»
    Chef wandte sich um. «Ich kann dich jedenfalls nicht mehr so ohne weiteres auf die Menschheit loslassen.»
    Ich hasste diese verbale Schnitzeljagd. Immer überließ Chef es den Angeklagten, sich durch den Nebel seiner Phrasen hindurchzuinterpretieren, bis das Urteil endlich Gestalt annahm. «Soll das heißen, ich bin raus?»
    «Das heißt, du brauchst Hilfe. Ich denke, du solltest dir zwei, drei Monate freinehmen, damit du dich wieder zentrieren kannst.»
    «Ich muss mir nicht freinehmen. Ich bin frei. Also: Was soll das? Du kennst den Job. Nach drei Monaten Auszeit brauche ich drei Monate Anlauf, bis ich wieder für ein paar Beiträge angefordert werde.»
    «Ehrlich gesagt, finde ich deine Worte unangemessen. Du willst mir jetzt nicht wirklich ein schlechtes Gewissen machen? Was

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