Hüftkreisen mit Nancy
Terrassen waren moosig, die Geländer trugen knorpelig den achten Lack. Ein in die Jahre gekommenes Idyll. Hier und da eine Eigentumsübertragung, ein Verkauf, sichtbar an den frisch gekärcherten Fassaden. Vier Riegel gegen Einbruch an den neuen Fenstern, den neuen Türen, die mit deutscher Perfektion gedämpft ins Schloss gingen. Auch frischer Rollrasen unter den sauren Kiefern. Die Genehmigung zum Bäumefällen war schwer zu kriegen. Bäume hatten eigene Rechte. Es war sicher einfacher, einen Mann wie mich aus dem Erwerb zu kegeln, als eine von diesen blöden Koniferen umzuhauen.
Das Schlimmste war, dass es mich im vollen Bewusstsein der Gefahr getroffen hatte. Ich wollte ja nie ein alter Sack werden. Ich wollte nie jemand werden, der im Suff ranrutscht und Fühlung mit den Damen aufnimmt. Ich wollte ganz bewusst nie ein alter Sack werden, und eine Weile sah es auch so aus, als würde das ein Problem anderer Männer bleiben. Dorit und ich waren ein gutes Paar. Wir waren nicht zu früh und nicht zu spät zusammengekommen. Wir waren sozusagen reif für unsere Beziehung. Menschen mit Bildung und Charakter. Ich kochte für Dorit rosa Rehrücken mit Pumpernickeltunke und Zimt-Quark-Birnen in Orangensauce und erläuterte dabei mehrstündig das Wesen der Welt. Dorit schleifte mich an den Wochenenden durch Parks und Schlösser und hieß mich an allen Blickachsenund Alleen stille stehen und sie feste drücken. Wir zeugten erfolgreich Konrad und ächzten IKE A-Pakete die Treppe hinauf. Wir schraubten, stemmten und bauten und stellten und standen glücklich vor den neuen Möbeln. Dorit bekam Konrad, als liefe im Kreißsaal ein Taxameter, mit finsterer Entschlossenheit und ohne viel Weiberlärm, den sie verachtete. Ich arbeitete wie ein Besessener, produzierte Stücke über die Landesmeisterschaft im Strohballenwettrollen, im Gummistiefelweitwurf, über die
Miss Erdbeere
, die
Miss Gurke
, die
Miss Meerrettich
, über Kugelschreibersammler, über Radiergummisammler, und von dem Geld kauften wir uns einen VW Passat. Wir luden Konrad und den ganzen Baby-Kladderadatsch hinein und fuhren Leute besuchen, damit die alle Konrad hochheben, abküssen und beschnuppern konnten. Später stand Konrad auf, fiel wieder um und stand wieder auf und ging als Erstes zu meinem Schallplattenspieler, um mit der Nadel über meine Erstausgabe von Pink Floyds «Umma Gumma» zu kratzen. Wir kauften mehr und höhere IKE A-Möbel und schraubten sie zusammen. Dorit ging wieder arbeiten und drehte Werbefilme, Footage, Stadtmarketing. Von dem Geld kauften wir uns Urlaube auf Lanzarote, auf Korfu, in Schweden und in den italienischen Seealpen. Wir belehrten Konrad, dass man anderen Kindern im Urlaub nicht mit der Schippe auf den Kopf haut, bloß weil sie ausländisch sprechen und nicht deutsch, dass man die Oma nicht tritt, wenn das Lego-Monster zu Weihnachten mal nicht exakt dasselbe ist, das man sich gewünscht hat, und dass man nicht bis zum Schluss wartet, sondern gleich was sagt, wenn einem beim Serpentinenfahren schlecht wird. Nach alledem schulten wir ihn ein. Wir sahen ihn an, wie er frech grinsend mit seiner Schultüte dastand, und empfandenbeide dasselbe. Er sah aus wie ein verdammtes Einzelkind. Ich nahm Zinktabletten, trank grünen Tee, Dorit fuhr mit dem Fahrrad zum Klienitzsee und kraulte bei fünfzehn Grad (es war September) zur Insel rüber und wieder zurück, und dann zeugten wir im Laufe der nächsten Vormittage – die sicherste Zeit, Konrad nachtwandelte noch immer – Mascha. Wir hatten einfach einen Lauf. Doch eines Tages war Schluss. Und zwar bei der Kommode Malm. Hatte es nicht das Orakel der Cree-Indianer gesagt? «Erst wenn ihr die letzte IKE A-Kommode zusammengeschraubt habt, werdet ihr merken, dass man sich nicht ewig einrichten kann.» Es war vorbei. Wir waren eingerichtet. Die Gutenachtküsse verloren an Seufz, die morgendliche Kaffee-Nachfrage wurde ungemeinter, mechanischer, tonloser, die SMS wurden sachlich, flirtfrei.
Und dann kam zu allem Unglück auch noch die Redaktionsweihnachtsfeier, an deren Ende ich mit Nergez zur Straßenbahn ging und plötzlich dieses Spaziergefühl hatte. Ich machte Chef samt Nasenfalte nach, und Nergez hetzte über Petra, dass die Fetzen flogen. Wir waren ein bisschen betrunken, Nergez hatte einen seltsam vorgebeugten, wiegenden Schritt, als schleppe sie Holz auf ihrem Rücken. Sie gackerte wegen irgendeiner komischen Sache, die bei der Feier passiert war, und warf lachend den Arm um meine
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