Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
Vom Netzwerk:
Geringbefugter, die nur darauf aus sind, ihre überaus geringe Befugnis an unbescholtenen Bürgern in Anwendung zu bringen, und fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: «Sie sitzen jetzt schon eine ganze Dreiviertelstunde im Wartehäuschen von den Verkehrsbetrieben, ohne   …»
    «Na und?», setzte ich an, aber der Dienstmann wiederholte sein «ohne» noch etwas lauter, «…   ohne eines von die Verkehrsmittel zu benutzen. Ich muss Sie auffordern   …» Ich wollte noch etwas sagen, aber da er Anstalten machte, ins Brüllen überzukippen, ließ ich es lieber. «Ich muss Sie auffordern, entweder eines von die Verkehrsmittel zu benutzen oder den Platz für welche freizugeben, die   …» Er war dick und sicher alleinstehend. Zu Hause hatte er bestimmt einen alten PC, von dem aus er im Internet auf die Pornos klickte, dazu ein Schälchen Knabberspaß und ein Biermischgetränk.«…   den Platz für solche freizugeben, die in Wirklichkeit auf eines von die Verkehrsmittel warten wollen.»
    Ich wurde blass. Ich hatte noch nie von Leuten gehört, die betrieblicherseits aus Straßenbahnhaltestellen vertrieben worden waren. Wenn das hier aber eine Singularität war, dann hatte sich der Mann mit dem Wort «in Wirklichkeit» verraten. Denn in Wirklichkeit musste ich ja die Bahn nehmen und meine Tochter aus dem Kindergarten abholen. Wenn ich dies also nicht tat, war ich offenbar im Begriff, die Wirklichkeit zu verlassen. So begannen Psychosen. Interessant.
    Plötzlich fühlte sich Amok irgendwie angemessen, blindwütige Raserei ganz natürlich an. «Hat Ihnen schon mal jemand den Arm umgedreht?», hörte ich mich regungslos und mit einer sehr seltsamen Stimme fragen. Das Gesicht des dicken Mannes verlor an Fassung, seine Nasenlöcher weiteten sich, als könne er sein nahes Ende riechen. «Hat Ihnen schon mal jemand so richtig schmerzhaft den Arm umgedreht?», fragte ich diskant weiter, als sei Klaus Kinski in mich gefahren. «So schmerzhaft, dass Sie um Gnade gewinselt haben? Dass Sie alles bereuten, dass Sie die Stunde und den Weg verfluchten, der sie dorthin führte, wo Ihnen so entsetzlich schmerzhaft der Arm umgedreht wurde?» Statt einer Antwort holte der Mann ein Handy raus und verband sich mit zwei behänden Tastendrücken zu irgendeinem Vorgesetzten. «Priesemann hier, Haltestelle Ströhmplatz, Linie 7», haspelte er angsterfüllt ins Telefon, «Angriff von männliche Person, mischblond, spricht Deutsch, vermutlich ohne Akzent!»
    Ich hockte unbewegt vor dem dicken Mann und starrte ihn mit flackernden Augen an. Als der Mann vorsichtig ein paar Schritte zurückwich, sah ich das Transparent amersten Obergeschoss des Hauses gegenüber.
Fitness- und Kampfsportstudio Niekisch/​Zentrum für Realistische Selbstverteidigung.
Schwarz auf weiß. In einfachen Lettern. Keine Reklame. Nur ein Hinweis. Aber der entscheidende, nicht weniger als ein Versprechen, dass ich eine Chance haben würde, mich zur Wehr zu setzen gegen all das, was mir heute passiert war. Der Amok dampfte aus mir heraus. Ich stand abrupt auf. Der Dicke sprang entsetzt auf die Schienen.
    «War nur eine Frage, Mann!», sagte ich ruhig zu ihm. «Hat mich einfach interessiert, diese Arm-umdreh-Sache. Nichts für ungut.»
    Ich hörte ihn noch keuchen, als ich über die Schienen schritt und auf das Haus zuging, das sich hinter der Wirklichkeit befand, in der ich den armen Mann zurückließ, um das
Zentrum für Realistische Selbstverteidigung
zu betreten. Ich fragte mich, was es kosten würde.
    Ich hatte 2437,11   Euro auf dem Konto. Mein Dispositionskredit betrug 3500   Euro. Ich hatte also, laut meinem morgendlichen Konto-Check, 5937   Euro und 11   Cent lang Zeit, mein Leben auf Vordermann zu bringen, bevor ich in die Wirklichkeit zurückmusste. Allerdings vor Steuern. Das war nicht sehr viel, aber auch nicht ganz wenig. Wichtig war nur, dass ich wieder der Präsident meines Lebens wurde, der Herr meiner Sinne und Kapitän meines Herzens!
     
    Am Counter des Studios stand eine junge Frau und hielt den Telefonhörer zwischen Kinn und Schulter eingeklemmt. «Schoko ist auch aus!», sagte sie, nickte, leckte kurz ihren Zeigefinger an und tipste versonnen ein paar Krümel von der Tischplatte. Beim zweiten Nicken fiel ihr eine Strähne ins Gesicht, und sie blies sie davon. Ich fiel rückwärts gegen dieTür, durch die ich gekommen war. Die junge Frau entdeckte mich und beendete das Gespräch.
    «Ich bin Nancy!», sagte Nancy und wedelte mit den Zöpfen.

Weitere Kostenlose Bücher