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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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Blickfeld gedrängt und mit ihren Polyethylen-Einweg-Handschuhen turbulente Krankenhausszenerien in meinem Kopf ausgelöst. Doch nicht für lange: Selbst die kleinsten Bestellungen überforderten Miss Kelles weniger üppige Auffassungsgabe. Brötchen für Brötchen, Croissant für Croissant musstesie rückfragen. Kunden hinter mir begannen zu soufflieren. Das ging ein paarmal so, dann war auch meine wildeste Phantasie nicht mehr bereit, vom sündigen Krankenhaus in die Förderschule umzuziehen. Kein Vergleich mit Nancy. Die ließ mich jetzt den Antrag unterschreiben und legte eine Kopie zu den Akten. Das Originalblatt gab sie mir.
    «Das hätten wir geschafft», sagte Nancy, «jetzt müssen Sie nur noch versuchen, wiederzukommen!»
    «Ist das so schwer?»
    «Scheint so», erwiderte sie, «Karteileichen haben wir jedenfalls genug.»
    «Na, dann, tschüss, Nancy!», sagte ich, und Nancy sagte: «Tschüss, Herr Krenke!» Ich fand das sehr apart und hätte mir beinahe vorgestellt, wie sich das Herr Krenke bei anderer Gelegenheit anhören würde, wenn ich mir nicht jeden Ausflug in diese Phantasiegegend verboten hätte. Und das war gut so. Ich war zweiundvierzig und angeödet vom Begehren.
     
    Die Garderobe des Kita-Spätdienstes war ein einziger Kleiderhaufen. Ich suchte im Gemöhle auf dem braun-gelben Linoleum unwirsch unsere Brottasche. Mascha saß trotzig mit ausgestreckten Beinen auf der Bank und verlangte, dass ihr die Schuhe angezogen wurden. Aus dem Augenwinkel erspähte ich den knapp verachtenden Blick einer hageren Grauscheitelmutti – vormals im mittleren Management oder höheren Verwaltungsdienst, dann erstes und einziges Kind kurz vor der Menopause   –, die Arme vor der Brust verschränkt, der Bub brav beim Schnürsenkelbinden, nachher sicher noch Flötenunterricht. Mach mal halblang; die Küken werden im Herbst gezählt, und Mascha klettert auf jedenBaum, den dein Bürschchen bloß aufsagen kann. Ich plünnte Mascha an und schleppte sie an meiner Hand über den Bürgersteig. «Was ist denn los heute? Du hast doch irgendwas, sag mal!»
    «Nee.»
    «Was gab es denn zu essen?»
    «Nichts.»
    «Ach, komm schon. Sag, was los ist.»
    Dann brach es aus Mascha heraus: «Die anderen hatten heute alle Geheimnisse. Nur ich nicht. Ich hatte kein Geheimnis. Kein einziges.»
    «Wollen wir uns ein Geheimnis ausdenken?»
    «Ich will kein ausgedachtes Geheimnis. Ich will ein richtiges Geheimnis.»
    Meine Kinder waren keine Kinder aus dem Kinderbuch. Meine Kinder riefen nie «O ja!» oder «Toll, Papi!». Meine Kinder waren wirkliche Kinder. Sie wussten instinktiv, dass ihre schlimmsten Probleme den Erwachsenen nur Anlass für schmunzelnde Herablassung und putzige Anekdötchen waren.
    «Ich will das geheimste Geheimnis von allen. So geheim, dass sie es nie, nie, nie rauskriegen.»
    Ich hätte sie knuddeln können. Aber das hätte ja nix geholfen. Wenn mein Auto kaputt ist, will ich ja auch nicht, dass der Mechaniker mich knuddelt, sondern dass er das Ding repariert. So schwieg ich, und wir trödelten die Straße runter. Mascha trat nach Pusteblumen, die Schirmchen stäubten.
     
    Als wir nach Hause kamen, war Konrad schon da. Oder auch nicht. Schlafend lag er mit leise bummernden Kopfhörern auf seinem Bett. «Oh, er hat wieder Pubertät!», flüsterte Mascha,die hinter mir durch den Türspalt äugte und dann kichernd in ihr Zimmer hopste. Ich ging in die Küche, machte mir einen Kaffee und setzte mich auf meinen Platz. Am großen Küchentisch standen sechs Stühle, aber nach fünfzehn Jahren war ich außerstande, mich an einen anderen Platz als den meinen zu setzen, obwohl ich dazu um den ganzen Tisch herumgehen musste. Ich trank den Kaffee, und das akute Fehlen einer Zukunft machte sich durch Entspannung bemerkbar. Mein Herz schlug nur noch so vor sich hin, ich befand mich in einem Zustand, den ich an bewegteren Tagen als Nahtoderfahrung erlebt hätte. Ich starrte in die Küche und verbrachte eine ganze Weile mit nichts als Anwesenheit. Dann fiel mir ein, dass das Kind unbeschäftigt war, womöglich Sinnmangel litt, und ich ging zu Mascha und fragte sie, ob sie was malen wolle. Mascha wollte, und ich stellte ihr Wasser, Papier und Tuschfarben auf den mitwachsenden Kinderschreibtisch.
    Zurück in der Küche, trank ich einen lauwarmen Schluck aus meiner Kaffeetasse und stand rum wie ausgeschaltet. Ich dachte an das
Fitness- und Kampfsportstudio Niekisch/​Zentrum für Realistische Selbstverteidigung
, an die

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