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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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auch heute wieder von Inkompetenz und Einfallslosigkeit umgeben gewesen war. Ich schnitt zweierlei Brot, eins mit Körnern, eins ohne. Der Sohn war Nahrungsspezialist und verweigerte sich beim Fehlen von Mischbrot komplett. Ich holte Aufschnitt und Getränke aus dem Kühlschrank, stellte das Geschirr auf den Tisch, und siehe, es war alles angerichtet für eine neue Aufführung von «Denn sie wissen nicht, dass sie es jeden Abend tun» – einem Dramolett für zwei Erwachsene und zwei Kinder (eines davon in der Pubertät).
    Es ging so: Dorit würde gleich die Kinder rufen, und tatsächlich: Dorit rief die Kinder. Mascha würde brav angetapst kommen, und da kam sie schon. Konrad hingegen würde aus seinem Zimmer «Gleich!» rufen, und, siehe da, er rief «Gleich!». Dorits Reaktion würde sein: «Nicht ‹gleich›. Du kommst bitte sofort, wenn ich es sage!», und es war Dorits Reaktion. Konrad würde sich stöhnend auf den Stuhl fallen lassen, und er tat es, bevor ich es ganz zu Ende gedacht hatte.Gleich würde er, wie an allen Abenden seines jungen Lebens, nach der Salami greifen, was Dorit zuverlässig zur Attacke treiben sollte und auch tat.
    «Nein, es gibt nicht immer nur Salami. Tut mir leid. Heute gibt es mal was anderes.»
    «Und was ist mit der da?», trotzte Konrad, wie ich es in meiner unendlichen Weisheit vorausgesehen hatte. Dorit würde jetzt «Mascha hat zwei Eltern, die sich kümmern. Wenn du selbst Kinder hast, kannst du dich erzieherisch verausgaben» antworten, und – allez hopp! – sie sagte es. So ging das seit Jahren – ohne die geringste Variation. Konrad wurde dreist. «Was soll der Scheiß, Mama? Ich kann doch essen, was mir schmeckt!», polterte er über den Tisch. Dorit stutzte ihn zurecht: «Du sprichst nicht in diesem Ton mit mir. Du bist immer noch das Kind.» Mascha müsste jetzt eigentlich keinen Appetit mehr haben, damit Dorit ihr allabendliches «Eine halbe Schnitte wird wenigstens gegessen   …» intonieren konnte, und – Mascha schob den Teller weg – da war ihr Einsatz. Nur einer hatte bisher geschwiegen. Der immer schwieg bis zu diesem Moment, in dem Dorit sich ihm frustriert zuwenden würde. Ich zählte den Countdown. Dorit brauchte keine zehn Sekunden. «Und was ist mit dir, Rainman? Sagst du heute auch nochmal was? Das ist die einzige Zeit, wo die Familie mal beisammen ist   …»
    «Ich genieße jede Sekunde, Liebes. Das kannst du mir glauben!»

8
    Es wehte ein trockener, ungewöhnlich gleichförmiger, fast gebläseartiger Wind, als ich am nächsten Tag mit der Sporttasche über der Schulter auf das Loch in der Wirklichkeit zuging. Der Wind bog rauschend die Pappelspitzen zu Fahnen um und verteilte den Knüllkram der Papierkörbe auf dem Platz. Die Leute standen und gingen in ihren flatternden Kleidern herum, damit befasst, an sich zu halten, was zu halten war.
    Das Haus, auf das ich zuging, das Haus, in welchem Sascha Ramon Niekisch sein
Fitness- und Kampfsportstudio Niekisch/​Zentrum für Realistische Selbstverteidigung
eingerichtet hatte, war in jeder Hinsicht ein Musterexemplar für die brave Epoche der bürgerlichen Wiedergutmachung, in der ich mein Leben zu absolvieren habe. Ein hypermodern rekonstruierter Gründerzeitprotz, ein Mischmasch aller Baustile mit trutziger Rustika, Weinlaubstuckgirlanden und vor sich hin palindromierenden Reliefpfeilern. Der Klopper war mit Sorgfalt, ja mit Anbetung wiederhergestellt worden. Wie immer, wenn westdeutsche Investoren vor so einer imperial vor sich hin bröckelnden Bude standen, war das harte Renditekalkül einem sentimentalen Gefühl der Verpflichtung gewichen, die Jugendbrunst des deutschen Großbürgertums wiederauferstehen zu lassen. Ich ging durch die Toreinfahrt, über der sich zwischen dem ersten und zweiten Stock das weiße Transparent mit dem Versprechen auf Realistische Selbstverteidigung blähte.
    Nancy hatte heute einen Pferdeschwanz und war ganz in Weiß. «Guten Morgen, Herr Krenke! Acht Uhr dreißig. Respekt. Sie meinen es ernst. Wollen Sie ein paar Gummibärchen?», fragte Nancy lächelnd und hielt mir eine Schale hin. Nein, sie ließ die Schale elegant aus einer Bewegung ihrerSchulter nach vorn fliegen. Eine Bewegung wie ein Peitschenknall in Zeitlupe. Woher kommt die Anmut, und was will sie hier? Ich wusste es nicht. «Nein danke! Später vielleicht.»
    Nancy ließ mich eine Viertelstunde warmradeln.
    Dann sagte sie: «Kommen Sie jetzt mit!», und trug ihren wippenden Pferdeschwanz vor mir her. Ich

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