Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
Vom Netzwerk:
symbolisieren sollte, und zischte durch einschüchternd große Pferdezähne, die Sekretärinsei ein Flittchen gewesen und habe ihrem Mann mit ihren «Möpsen» den Kopf verdreht. Die hagere Gattin hatte ein rauchiges Timbre und tatsächlich einen gewissen Adel der Haltung, und es war sehr schön, diese Obszönität aus ihrem Mund zu hören. Die Kommissarin erkundigte sich eingehender. So auch meine Frau. «Sag mir, was du jetzt machen willst!»
    «Ich hebe Gewichte und denke nach. Es ist eine Auszeit.»
    «Das kann nicht dein Ernst sein, oder? Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du diese unhaltbare Situation in einer Muckibude aussitzen willst?» Dann streckte sie ihren Arm aus und wies ins Zimmer beziehungsweise durch das Zimmer hindurch, in die Diele, in die Zimmer, die an die Diele anschlossen. «Dahinten schlafen deine Kinder. Tief und fest. Träumen von Geburtstagen, von Urlauben, Kinobesuchen, ach, vielleicht nur von einem Ausflug im Auto, einem Fernsehabend. Du hast Verantwortung übernommen, mein Lieber, als du diese Kinder gemacht hast.»
    Ich war mir sicher, dass niemand, der mich damals auf Dorit gesehen hätte, auf die Idee gekommen wäre, dass ich gerade dabei war, Verantwortung zu übernehmen. Es muss insgesamt doch eher unverantwortlich ausgesehen haben.
    «Du trägst die Verantwortung, dass es ihnen gutgeht. Verantwortung für ihren Lebensstandard!»
    Es war das erste Mal, dass ich Dorit in so deutlichen Abstiegsängsten gefangen sah, und ich mochte es nicht. Scheiß Lebensstandard-Erpressung. «Das wird schon wieder. Irgendwas geht immer!», beruhigte ich sie, zog meine Hand unter ihrer hervor und tätschelte sie hilflos.
    Dorit fegte meine Hand weg und sprang auf. «Nein, mein Lieber, so kommst du mir diesmal nicht davon. Du bewegstdeinen Hintern und suchst dir eine Therapie, und die besuchst du auch! Die besuchst du, bis du wieder auf Spur bist. Das lässt du dir schriftlich geben und legst es deinem Chef auf den Tisch. Und sei froh, wenn bis dahin nicht jeder einzelne Kollege spitzgekriegt hat, dass du deine Triebe nicht im Griff hast   …»
    «Niemals! Das wollen sie doch alle. Merkst du nicht, dass ich ihnen damit recht geben würde!»
    «Na und!», schnappte Dorit wütend, «Sie haben dein Geld, und damit haben sie sowieso recht. Glaubst du, ich kann mir solche Allüren leisten? Glaubst du, ich könnte nicht manchmal vor gekränktem Stolz explodieren, wenn einer von diesen Idioten in ihren Regentanzügen mich mit der hundertsten Version eines Exposés antanzen lässt, nur um sich einen runterzuholen? Aber ich schluck das. Ich schluck das alles, weil ich nicht so blöd bin, mir von meinem Ego mein Einkommen versauen zu lassen.»
    Die hervorragende Dorit   – Schrecken der Meetings, der Pitchings, der Briefings – dauergedemütigt. Jedes servile «Kein Problem!», jedes «Machen wir!», jedes «Dazu sind wir ja da!» nur ein knapp erstickter Amok. Danach im Damenklo den Lippenstift nachziehen auf den angenagten Lippen, und weiter geht’s. Eine Welle Beschützerwut durchflutete mich. «Du hast mir das nie so erzählt. Ich hätte doch   …»
    «Weil ich Verantwortung habe. Weil ich Kinder habe.»
    Die Kinder hatten schon dazu geführt, dass Dorit sich von einer anbetungswürdigen Frau in eine sehr viel weniger anbetungswürdige Mutter verwandelt hatte, die sich zudem ihre Dosis Anbetung lieber von abhängigen Wesen wie dem Goldlöckchen Mascha oder dem mittlerweile allerdings nur noch sekundenweise verkuschelten Konrad holte.
    «Du meinst, der Kapitalismus hat uns am Arsch, weil wir uns fortgepflanzt haben? Müssen wir jetzt vor jedem Drecksack mit Budget-Hoheit den Buckel krumm machen, nur damit unsere Kinder nicht die Wohnung, die Schule und den Freundeskreis wechseln müssen?»
    Dorit verscheuchte meinen Einwand wie ein Insekt. «Was ich jetzt überhaupt nicht brauchen kann, sind irgendwelche marxistischen Macho-Sprüche. Jetzt ist gleich wieder das System schuld, wenn du dich nicht zusammenreißen kannst! Weißt du, wie viele Kinder deinem Karl Marx gestorben sind? Weißt du das?»
    Ich entdeckte beiläufig, dass Streit unter ehemaligen Teilnehmern sozialistischer Schulungsseminare noch einen ganz anderen Spin bekommt. Karl Marx liebte seine Kinder, und er weinte bitterlich wochenlang, als sein Söhnchen starb. Aber was Dorit hier ablieferte, war unterster Bundestag. «Dorit, du brauchst jetzt nicht in Existenzängste zu verfallen. Das renkt sich wieder ein, wenn sich die Wogen

Weitere Kostenlose Bücher