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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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Fahrrad lenkte sich eierig, weil ich «Brust» trainiert hatte. Offenbar war die Muskulatur ermüdet und reagierte deshalb nur widerwillig. Am liebsten hätte ich die Arme über den Lenker baumeln lassen, wie Konrad als Kleinkind, wenn er sich auf dem Dreirad durch den Park hat schieben lassen, die faule Socke! Eine Weile machte ich immer bei der Halfpipe halt, in der ein paar Jungs, denen der Begriff «Schulpflicht» nichts sagte, mit ihren Rollbrettern oder gedrungenen Kunsträdern hin und her rollten. Einer von ihnen, ein aschblonder Schlaks, schien mir besessener als andere zu sein, wie ein Verrückter übte er seine Flips, bei denen er sich regelmäßig ziemlich drastisch auf die Fresse legte. Einmal, als er mir aus der Halfpipe direkt vors Rad rutschte, klinkte irgendeine Ermunterungsautomatik in mir ein, und ich sagte: «Junge, wenn du in der Schule so viel Einsatz zeigen würdest wie hier, wären deine Eltern sicher glücklich!»
    Der Schlaks sah mich mit einem Gesicht an, in dem kindlicher Respekt und jugendliche Verachtung nebeneinanderwohnten. «Aber ich nicht!», sagte er dann, stand auf, kicktesich das Rollbrett in die Hand und kletterte wieder auf die Halfpipe.
    Ich war einfach ein Idiot.
     
    An geraden Tagen aß ich beim Chinesen, an ungeraden beim Türken. An geraden Tagen ging ich zum Verdauen in den Buchladen und las mich flüchtig durch ein paar Bücher, die mich schon immer brennend interessiert hatten, aber die ich niemals in aller Öffentlichkeit über einen Kassentisch reichen würde. «Haarausfall muss nicht sein – die Jack-Godwin-Methode», «Mit Bäumen sprechen – Wege zur inneren Natur», «Russische Häftlingstattoos rechtzeitig richtig deuten» oder «War Jesus bisexuell? – Fragen an das Thomasevangelium». An ungeraden Tagen musste ich im Freien bleiben, weil ich Bestandteile des Döners nicht ordnungsgemäß verstoffwechsle. Ich setzte mich vorm Rathaus auf den Rasen und ließ das Rauschen des Springbrunnens alles andere übertönen. An der anderen Seite standen Bänke, und auf den Bänken ruhten sich fette ältere Frauen aus. Gemütlich, die Finger mit den eingewachsenen Eheringen ineinander verhakt, hockten sie da. Schräg gegenüber lungerten ein paar Punkpärchen, die ständig ihre Hunde oder einander anschrien. Ich hatte mir eine Sonnenbrille gekauft, um besser beobachten zu können. Machte ja auch Sinn. Lieber andere beobachten als dauernd in sich selbst hineinhorchen.

10 
    Als Dorit am Abend nach Hause kam, wirkte sie verändert. Ich brauchte sie nicht einmal zu sehen, um zu wissen, dass etwas vorgefallen war. Ich hörte es schon an der Art und Weise, wie sie den Schlüssel in der Tür drehte. Auch wie sie Maschas selbstgemaltes Bild lobte, wie sie mit Konrad ganz fachmütterlich die Möglichkeitsbedingungen für den Besuch eines Friseurs in den nächsten Jahren diskutierte, war perfekt normal, eine Art Zuwendung, die Dorit nur demonstrierte, wenn sie etwas «nicht vor den Kindern» mit mir besprechen wollte. Diesmal aber war ihre Normalität so furchterregend normal, dass ich den Wunsch verspürte, in der schützenden Nähe der Kinder zu bleiben, am besten mit ihnen ins Bett zu gehen. Gott sei Dank kam im Fernsehen ein Krimi, und ich betete, dass er Dorits Aufmerksamkeit zu fesseln vermochte.
    Ein Zoolöwe musste notoperiert werden. Man fand Plastik in seinem Magen. Der Löwe war ein Zuchtlöwe und sehr wertvoll. Der Veterinär war stinksauer. Der Tierpfleger konnte sich die Sache gar nicht erklären, aber das schien bei ihm etwas Grundsätzliches zu sein. Vielleicht hatte ja ein Zoobesucher   … Als aber der Veterinär am Abend mit einem Kumpel beim Bier saß und immer noch empört mit dem Plastikfetzen wedelte, sagte der Kumpel, dass er das Teil zu kennen glaube, vor zwei Jahren hätte sich seine Uschi zum Vierzigsten den Busen aufwuchten lassen, und da hätte sie zwischen ein paar Größen wählen können, das waren genau solche Plastikbeutel mit genau solcher Nummer drauf. Die Tür klappte, und Konrad kam im Schlafanzug, um seine immer formaler werdenden Gutenachtküsse auf uns zu verteilen. Kaum, dass er die Wohnzimmertür geschlossen hatte, drehte sich Dorit zu mir ein und sprach mit fremder Stimme,als bewege ihr ein Dämon die Zunge: «Ich habe heute deinen Chef getroffen.»
    «Und was erzählt er so?», erwiderte ich mit erstickter Beiläufigkeit.
    Dorit schürzte vor Wut die Lippen, während ihr gleichzeitig Tränenglanz über die Augen zog. Ich bewunderte

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