Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
Vom Netzwerk:
senkte die Nadel auf die Rille. Es düste los, dann kam der Beat. Irgend so ein Wave-Kram. Sie drehte die Anlage auf.
    «Also, wie gesagt. Fühl dich wie zu Hause», räusperte ich mich, «ich mach dann mal los», und wandte mich zum Gehen. Ich war schon fast um die Ecke, als ich zu hören glaubte, wie sie sich hinter mir auf das Bett warf. Ich stolperte verwirrt noch einen Meter, dann machten meine Füße von selbst kehrt. Dorit lag, den Kopf auf die Hand gestützt, grinsend in der Mitte des Raumes auf dem Podestbett. «Komm», formte ihr Mund langsam, die Musik war zu laut, um sie zu verstehen. Das war jetzt nicht wahr, oder? Wollte sie sich für die Warterei schadlos halten, indem sie es mit Martins Freund trieb? In seiner eigenen Wohnung? Auf seinem Paradebett?Wie ruchlos! Das würde ich doch niemals   … Andererseits. Martin war mein, na ja, vielleicht zweitbester Freund. Uns verband vieles. Aber das war doch eine Floskel. Loyalität? Überbewertet! Dorit lag heiter auf dem Bauch und formte mit den Lippen Wörter, die mein Hirn mit Inbrunst zu deuten versuchte. Zwei Sekunden später hatte ich es raus. «Komm   … gut   … heim!», hatte sie gesagt. Kein Zweifel. Ich winkte ihr nochmal und ging.
    Von da an sahen wir uns häufiger. Aus Gründen, über die ich mir keine Rechenschaft ablegte, wurde mir die Freundschaft zu Martin plötzlich lebenswichtig. Ich hatte wenig später etwas mit Verena angefangen, meiner randlos bebrillten Banknachbarin in einem Englischkurs, und zwei Paare passten ja immer gut. Wir gingen essen oder machten am Wochenende kleine Touren. Dorit hegte gegen Verena eine nicht geringe Abneigung, was ich idiotischerweise berückend fand, Verenas Reden kommentierte sie immer nur mit einem knappen «na ja» oder «soso». Diese schöne Zeit endete nach anderthalb Jahren, als Verena mich verließ und ich nicht mehr recht zu Paaraktivitäten, außer seelsorgerischen, passte. Zwei Jahre später, im Sommer 1995, machten Dorit und Martin eine Einweihungsparty, zu der ich eingeladen war. Sie hatten nach einigem Hin und Her (Dorit wollte mehr in die Peripherie) eine sanierte Altbauwohnung im Parkviertel gemietet. Die Gäste kamen und bestaunten den Stuck, was beabsichtigt war. Was ich jedoch neben dem Prunk der Wohnung registrierte, war, dass Dorit und Martin sich stritten. Fast die ganze Party über. Es war ein ungleicher Streit. Dorit wollte Aufsehen vermeiden, und Martin nutzte das aus. Er konnte sie am Arm zurückzerren, wenn sie gehen wollte, er konnte laut werden, damitsie ihn flüsternd beschwichtigte, und einmal fasste er ihr sogar ans Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich, als sie wegblicken wollte. Ich unterhielt mich unkonzentriert mit der reichlich abgefüllten Liane über Boris Jelzins Trunksucht («Atommacht! Verstessu? Atommacht!!! Und denn Jelzin! Verstessu? Ach, du verstehsnich!») und blickte immer wieder durch den Türspalt in die Küche, wo Dorit jetzt mit den Tränen kämpfte. Irgendwann rannte sie aus der Wohnung, und ich wartete eine viel zu kurze Weile, um «nach Zigaretten zu gucken».
    Sie stand draußen vor der Tür, die Arme vor der Brust, und nagte zornig an der Unterlippe. Ich gab ihr eine Zigarette, und wir rauchten eine Minute still.
    «Nimm’s nicht so schwer», sagte ich, «er liebt dich», obwohl dies das Letzte war, was ich sagen wollte. «Er liebt dich wirklich», sagte ich, und dann knisterte es auf meiner Zunge, und meine Rede schloss mit meiner Sehnsucht kurz. «Er liebt dich, er denkt oft an dich. Bevor er einschläft, denkt er an dich. Wenn er aufwacht, denkt er an dich. Tausend kleine Dinge erinnern ihn an dich. Er hat sich Platten gekauft, die du magst, und er hört sie den ganzen Tag. Er liest Bücher, die dir gefallen haben, nur um die Zeilen zu lesen, die du gelesen hast. Er geht die Wege, die ihr gemeinsam gegangen seid. Er vergrößert sogar die Gruppenfotos, auf denen ihr gemeinsam nebeneinandersteht, damit es so aussieht, als wäret ihr ein Paar, auch wenn sie dadurch ganz grobkörnig werden   …»
    Dorit blies den Rauch in einem Seufzer fort und lächelte. «Warum macht er das? Was findet er an mir?» Wir standen nebeneinander an der Hauswand. Schulter an Schulter.
    «Er bewundert dich», sagte ich, zitternd von so viel Geständnis,«Du bist anders. Du bist geradliniger, energischer, physischer als alle anderen Frauen. Du bist einfach jemand, den es nicht an jeder Ecke gibt und den man immer bei sich haben möchte. Du bist so etwas wie eine letzte

Weitere Kostenlose Bücher