Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
Vom Netzwerk:
schlecht. Du fühlst dich gut hier, ja? So soll das auch sein. Aber du musst Supersätze machen und absteigende Sätze und Negativwiederholungen, um echte Masse aufzubauen.» Er guckte wieder so freundschaftlich, dass mir ganz mulmig wurde. Dann packte er mich am Hals, zog mich zu sich hin und flüsterte mir ins Ohr: «Und immer hübsch vorsichtig mit den Mädels hier. Nicht verrückt machen lassen. Aber wir verstehen uns schon, nicht wahr?» Strubbelte über meine Haare und ging. Klatschte noch im Vorübergehen Matze ab, der vorne auf einem zum Platzen gebeulten Gummiball schräge Rumpfheben machte. Ehrlich gesagt, hatte ich gar nichts verstanden. War ich jetzt sein Homie, sein Brother? Oder sollte ich nie wiederkommen, wenn mir mein Leben lieb war? Meinte er am Ende vielleicht Nancy? Vielleicht hatte er einfach überzogene Vorstellungen von Kundenpflege.
     
    Mascha hatte eine Handvoll Sand in den Schuhen, den ich dem Kindergarten bedenkenlos auf das Linoleum kippte.
    «Hast du Mittagsschlaf gemacht, Maschenka?»
    «Ich habe sogar geschlafen.»
    «Fein, fein.»
    «Ich habe sogar geträumt.»
    «Was hast du denn geträumt, Maschenkaleinchen?»
    «Ich habe mit einem Seeräuber gekämpft. Mit einem Schwert!»
    Auf dem Bänkchen neben uns saß eine rundliche, sommersprossige Blondine, die ihr rundliches, sommersprossiges Töchterchen einpackte und sich blinkernd und schmunzelnd über dieses Geschichtchen amüsierte.
    «Mit einem Schwert, oho», kurbelte ich die Kommunikation weiter an.
    «Aber, Papa   …» Mascha patschte mir mit beiden Händchen auf die Wangen, was sie tat, seit ihre Händchen und meine Wangen das erste Mal in Reichweite gekommen waren.
    «Ja, Kleines.»
    «Ich hab das Schwert nicht in ihn reingekriegt. Es war schlimm. Ich hab alles versucht.»
    Die runde sommersprossige Blondine reduzierte ihr Schmunzeln ein wenig, das runde sommersprossige Töchterchen blickte pausbäckig und ein bisschen stupide herüber, während es sich im Jackengriff der Mutter hin und herpendeln ließ.
    «Du musst weiter unten zustoßen. Hier so. In den Bauch. Oben sind die Rippen. Spürst du die, wenn ich dagegentippe? Da geht so ein Schwert manchmal nicht rein.»
    Die blonde Pummelmutti setzte blitzschnell ihrem Kinddie Pudelmütze auf und zog sie ihm mit einem Ruck über die Ohren. Dann stand sie auf, im Aufstehen alle Sachen zusammenzuraffend, und zerrte ihr Kind, das uns noch im Wegstolpern unverwandt anstarrte, hinaus auf den Flur.
    «Ach so!», sagte Mascha.
    Beim Nachhausegehen hielten wir am Kiosk. Erst wollte Mascha eine Glitzergirl-Zeitschrift mit pinkfarbener Lupe im Beipack, entschied sich dann aber doch für Kaugummis. Die Kaugummis waren zu scharf. «Hier! Kannst weiterkauen!», spuckte Mascha ihren Kaugummi in die Hand und hielt ihn mir hin. Dein Speichel sei mein Speichel. Ich bestand den Vaterschaftstest und fand den Kaugummi nicht scharf. «Dein Geschmack ist ja schon abgehärtet», sagte Mascha, und ich dachte darüber nach. Mascha ärgerte sich noch ein paar hundert Meter, dass sie nicht doch die Zeitschrift genommen hatte. Dann hatte sie keine Lust mehr und sang lieber was Selbstausgedachtes. Das Lied hieß «Du Hund, du Hund/​Nimm nicht alles in den Mund/​Denn das ist nicht gesund, du Hund!». Ich sollte mir weniger Gedanken über den Sinn meines Lebens machen. Ich war nur die Brücke, über die meine außergewöhnlichen Kinder gingen. Danach konnte ich in Stücke fallen.
     
    Dorit machte mich schwach. Jetzt war es amtlich. Die Ergebnisse beim Training variierten, je nachdem, an wen ich gerade dachte! Eine Entdeckung, die mich völlig durcheinanderbrachte und mein Verständnis der Menschheitsgeschichte auf das entsetzlichste profanisierte.
    Ursprünglich hatte ich nur wissen wollen, warum ein einmal erreichter Kraftzuwachs ein paar Tage später wieder so gut wie verschwunden war, um dann in der nächsten Wocheplötzlich wieder da zu sein. Nachdem ich alle externen Faktoren ausgeschlossen hatte – ich trainierte immer zwischen neun und elf und trank vorher einen halben Liter Kefir, die Pilzmilch der Hundertjährigen   –, hatte sich bei Durchsicht der Trainingsnotizen herausgestellt, dass ich bis zu dreißig Prozent mehr Eisen stemmte, wenn Nancy vor meinen Augen die Spiegel im Kraftraum geputzt hatte. Zuerst hatte ich das Putzmittel im Verdacht gehabt, weil synthetische Substanzen oft vielfältiger im Nutzen sind, als ihre Erfinder bezwecken, aber nach einem heimlichen Selbstversuch mit dem

Weitere Kostenlose Bücher