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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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locker wie ein Blumenstrauß. Ich atmete langsam und tief, tief und langsam, als ich bemerkte, dass sich mehr als meine verspannte Hüfte gelöst hatte. Erst konnte ich es nur auf den Lippen schmecken. Ich war offenbar dabei, loszuheulen. Ich wusste nicht, wieso. Ich seifte mich ein, wusch mir die Haare und spülte mich ab, so schnell es ging. Beim Abtrocknen ergriff mich leichte Panik. Ich heulte wirklich – und zwar heftig. Ich trocknete mein Gesicht ab, so fest, dass mirdie Augen brannten, aber das Heulen ging nicht weg. Fluchend, schniefend und schluchzend langte ich nach meinen Sachen, während mir der Rotz herunterlief, auf die Fliesen tropfte, dunkle Flecken auf meine Schuhe machte. Das Heulen wurde immer panischer, ich stopfte das Sportzeug in die Tasche, es klang wie das Weinen eines Kindes, das etwas ganz Wichtiges sucht und nicht mehr finden kann, wie das Weinen eines Kindes, das immer heftiger weint, je mehr es sucht und je weniger es findet, wie das Weinen eines Kindes, in dessen Suchen sich schon das Bewusstsein vom endgültigen Verlust ausbreitet.
    Es tränte, als ich hätte ich einen Tränenhauptkanal angestochen. Es lief mir aus den Augen und aus der Nase. Jedes Taschentuch nur ein netter Versuch. Ich resignierte und ließ es laufen. Setzte mich vor dem kleinen gusseisernen Abfluss in den Bodenfliesen auf die Bank, lehnte mich vor und heulte hinein.
    Warum kann ich denn nichts tun?
    Aber du tust doch schon die ganze Zeit deines Lebens, und das hier ist das Ergebnis.
    Dagegen, meine ich! Da-ge-gen!!
    Das ist ein gerichteter Prozess, mein Junge. Wie der Urknall, die Ausdehnung des Weltalls, die Evolution, capito? Da kann man nichts «dagegen» tun. Beziehungen sind wie ein Ei in die Pfanne schlagen. Schlag es mal wieder zurück!
    Ich will das nicht.
    Schon klar! Ist aber so!
    Das wollte ich nicht.
    Davon gehe ich mal aus. Aber das Leben hat ja nur sehr vermittelt mit dem Wollen zu tun. Wollen kann man ja vieles.
    Bleibt das jetzt so? Jeden Morgen, jeden Abend?
    Na ja, nicht jeden Morgen, jeden Abend, es wird auch noch schöne Momente geben.
    Soll ich dir was sagen? Ich scheiß auf «schöne Momente». Das ist mir zu wenig.
    Dann fang doch wieder von vorn an.
    Eine neue Frau? Ich soll mir eine neue Frau suchen?
    Das löst das Problem zwar nicht, aber es verschafft dir eine Atempause, bis es wieder auftritt.
    Und was wird dann aus meiner alten Frau?
    Liebst du sie etwa noch? Was beschwerst du dich dann?
    Ich würde sie ja lieben, wenn sie mich auch lieben würde.
    Ihr belauert euch.
    Nein. Es ist viel aktiver. Sie ist so doof zu mir. Ich bin doof zu ihr. Alle sind doof zueinander.
    Davon spreche ich im Übrigen die ganze Zeit, mein Junge.
     
    Es klopfte. «Bist du noch nackt?»
    «Nein.»
    «Kann ich reinkommen?»
    «Ja.»
    Nancy lugte vorsichtig um die Ecke. Grinste verlegen, ging an mir vorbei und spähte in die Dusche. «Du bist wirklich allein? Hat sich angehört, als wäre hier sonst was für eine Debatte im Gange!» Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sah aus dem kleinen Fenster an der Querwand. «Kam wahrscheinlich vom Hof.» Sie drehte sich um und erschrak. «Du hast total rote Augen!»
    «Ja, ich vertrag mein neues Duschbad irgendwie nicht.»
    Nancy sah mit zusammengezogenen Augenbrauen aufmeine Schuhe und auf die Fliesen zu meinen Füßen. «Soll ich dir einen Kaffee machen?»
    Ich nickte schwach beglückt. «Habt ihr Cracker?»
    «Ja. Wieso?»
    «Ich brauch Salz.»
     
    Ich saß auf dem Barhocker, trank Kaffee, knabberte Tuc-Kekse, und Nancy stand in Ausgangsposition mitten im Empfangsraum und ging unfassbar langsam und außerdem noch gegrätscht in die Knie. Dann fiel sie vornüber in den Vierfüßerstand und schob ihren Hintern nach hinten, bis er die Fersen berührte. Sie stand wieder auf, hob die Arme (die Finger machten Flügelchen, einmal graziös, immer graziös) und beugte sich weit nach vorne. Das sollte ich jetzt immer machen. Das sähe wirklich sehr schön aus, meinte ich, und wenn ich sieben Jahre alt und ein Mädchen auf einer Schulbühne wäre, würden bestimmt alle Eltern klatschen. «Ich bin aber ein Mann», sagte ich dann.
    «Eben nicht!», antwortete Nancy bestimmt. «Du tust nur so! Bei einem richtigen Mann kommt die Kraft aus der Mitte. Wie bei einem Cowboy. (Sie schoss auf mich mit dem Zeigefinger.) Ein richtiger Mann kommt aus der Hüfte, und du kommst nicht aus der Hüfte. Bevor du also ein Mann werden kannst, musst du wohl erst mal ein kleines Mädchen werden.»

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