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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schwarz
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zwar ohne mein Zutun. Tränen schossen mir in die geschlossenen Augen. Da waren sie also. Phantombewegungen. Das Gehirn gaukelte mir bewegliche Gliedmaßen vor. Wahrscheinlich würde ich noch Jahre träumen, wie ich über Sommerblumenwiesen sprang. Meine Beine sprangen jedoch nicht, sie schienen sich in eine Art Froschhaltung zu grätschen. Offenbar machte ich Phantomfaxen.
    «Tut das weh?», hörte ich Nancy fragen. Ich schlug die Augen auf und sah Nancy vor mir stehen, die meine Beine an den Schuhen hielt und sie vorsichtig grätschte und drehte.
    «Nein», antwortete ich.
    «Dachte ich mir schon. Also Bandscheibe ist es nicht.»
    «Es hat geknackt.»
    «Ach so, geknackt», sagte Nancy. «Links oder rechts?»
    «Ich glaube, mehr so rechts.»
    Nancy fasste ihr Haar hinter dem Kopf zusammen, wie jemand, der sich was vorgenommen hat, ihren Haargummi hatte sie zwischen den weißen Zähnen, so weiß wie jemandes Zähne, der seine Fluortabletten regelmäßig nimmt, sie band sich das Haar straff am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz, dann zog sie meine Knie vor ihre Brust und legte sich auf mich.
    «Jetzt mal loslassen!», sagte Nancy und stemmte sich in meine Richtung wie der Schwerter-zu-Pflugschmied vor dem UN O-Hauptquartier . «Wirklich loslassen!», presste Nancy zwischen den Zähnen hervor. Also ließ ich los und gab nach. Der Druck begann durch meinen Körper zu wandern. Die großen Knochen drehten sich in meinem Fleisch, als wolle jemand sie aus der Gelenkpfanne herauslösen. Die Schalen meines Beckens gingen auf. Mein Kreuzbein ploppte ein wieein Druckknopf. Dann stand der Schmerz in mir auf und ging davon.
    Ich hätte nie gedacht, dass der größte Moment in meinem Leben sich so anfühlen würde. Ich hatte immer gedacht, ich würde an einem Sonnentag auf eine Plattform treten, hinter mir breite Flaggen, und über Menschenmassen blicken. Ich hatte gedacht, ich würde von der letzten Sprosse eines Landungsapparates in den weichen Staub springen. Hatte gedacht, ich würde den anderen Passagieren einer gekaperten Maschine «Los geht’s!» zurufen. Nie hätte ich gedacht, dass sich eines Tages die Last meines Lebens in einer Brise Mädchenatem auflösen würde. Mein Kinn berührte mein Knie, und neben meinem Kinn horchte Nancy in mein Bindegewebe hinein. Sie wirkte zufrieden.
    Das war es also. Angefasst werden. Gedrückt. Belastet. Umarmt und aufgelöst. Darüber hinaus bestehen keine Interessen. Ich erinnerte mich. Ich erinnerte mich gut. Meine Kinderfreundin Zwecke hatte mich mal geschmatzt, weil ich ihr ein Meerschweinchenjunges geschenkt hatte. Ich stehe so da und werde plötzlich aus der Achse gekippt, an sie gerissen, eingeklammert in ihre Arme, ihre weichen, feuchten Lippen drücken sich an meiner Wange platt. Es ist Sommer. Der Hof betoniert. An der Treppe zum Garten. Ich weiß noch alles. Festgehalten werden. Mit Glück überschüttet werden. Nichts tun können. Bitte reagieren Sie jetzt nicht! Sie werden geliebt. Ich weiß auch noch, wie sich Dorit auf einer Wiese am Klienitzsee auf mich wälzte und mein Gesicht unter dem Katarakt ihrer Haare verschwand, ihre Brüste auf meiner Brust, ihr Bauch auf meinem. In meiner Hand eine Zigarette, die langsam herunterglühte. Die Asche krümelte auf meine Finger. Hatte ich was Kluges gesagt, oder wollte sie mich einfachnur zum Schweigen bringen? Wahrscheinlich beides. Ich sag ja oft Kluges, wonach man nur noch schweigen kann. Oder war da kein Anlass? Grundlos begehrt. Ach, grundlos begehrt werden ist schon das Beste. Gründe können entfallen. Dann entfallen die Berührungen. Wenn man nicht mehr angefasst wird, stirbt man. Ich fühlte mich leicht und frei.
    «Darf ich dir das Du anbieten?»
    Nancy beugte sich langsam nach hinten. «Ja. Aber nimm die Hände von meiner Taille!»
    «’tschuldigung! Mich hat schon länger keiner mehr so   … nachhaltig   … angefasst.»
    «Den Eindruck hab ich auch. Steh mal auf.»
    Ich erhob mich, einen schwachen Rest von Ziehen im Kreuzbein, und wiegte die Hüfte hin und her. Lachte kurz auf. «Ich fühle mich wie neugeboren.»
    «Bitte schön», sagte Nancy und legte den Kopf schräg, «aber nicht, dass du jetzt auf mich geprägt bist.»
     
    Ich stand still in der Dusche, und das Wasser lief an mir herunter. Ein wieder ineinandergefügter zweiundvierzigjähriger Körper. Nicht hübsch, nicht hässlich. Nicht fett, nicht schlank. Einfach irgendwie so geworden. Und jetzt diese Aufdehnung. Mein Rumpf steckte in meinem Becken,

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