Huete dich vor deinem Naechsten
nicht da. Zum ersten Mal spürte Linda Angst in sich aufkeimen, während er das Lenkrad in einem unregelmäßigen Rhythmus umklammerte und wieder losließ.
»Ach komm, Ben«, sagte sie und zwang sich zu einem verführerischen Tonfall, »ruh dich ein bisschen aus. Und morgen besprechen wir alles.«
Als er ihr den Kopf zuwandte, erkannte sie das ganze Ausmaß seiner Erschöpfung, den beängstigenden Glanz in seinen Augen. Linda wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie fürchtete, er könnte aus dem Auto steigen. Wie hatte es so weit kommen können? Was war passiert, dass sie sich in dieser Lage wiederfanden?
»Es geht nicht«, sagte er. »Ich kann nicht mehr schlafen. Ich brauche dich.«
Sie schlang ihre Arme fester um sich, ihr ganzer Körper zitterte vor Angst und Kälte. Irgendetwas lief aus dem Ruder. Sie hatte ihn nicht ansatzweise so erlebt. Aber eigentlich kannte sie ihn gar nicht richtig. Sex sollte man nicht mit echter Nähe verwechseln - was Ben allerdings tat.
Sie zwang sich zu einem Lächeln, um ihn zu besänftigen, trat näher ans Auto, beugte sich vor und legte ihren Kopf an seinen Arm. Er schien sich zu entspannen, wieder er selbst zu werden. Dann sagte er: »Ich glaube, sie war froh, weißt du, erleichtert darüber, dass das Versteckspiel nun vorbei ist. Erik wird es genauso gehen. Vielleicht ist er ebenso unglücklich wie du.«
Linda lächelte krampfhaft weiter, obwohl ihre Knie bei diesen Worten fast nachgaben. Sie nickte. »Vielleicht hast du recht. Ich werde mit ihm reden. Ich rufe dich morgen an.«
Jetzt lächelte er ebenfalls und legte seine Hand auf die von Linda. »Linda, ich werde dich sehr glücklich machen. Du wirst schon sehen.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Aber jetzt ruhst du dich erst mal aus, okay?«
»Okay«, sagte er. »Okay.«
»Versprochen?«
»Klar.«
Sie trat vom Auto zurück, drehte sich um und ging langsam auf das Krankenhaus zu. Alles in ihr wollte rennen. Ihr Herz pumpte wie wild.
»Linda!« Der Ton seiner Stimme - kalt, gefühllos - ließ sie erstarren. Aber sie drehte sich nicht um.
»Sag es ihm«, rief Ben, »sonst werde ich es tun.«
Sie ging schneller, hörte ihn noch einmal rufen, blieb erst stehen, als sie das hell erleuchtete Foyer erreicht hatte. Dann stahl sie sich in die nächste Damentoilette und klammerte sich am Waschbecken fest, bis ihr Körper nicht mehr zitterte. Anschließend musste sie sich in der Toilettenkabine übergeben. Sie sank zu Boden und lehnte den Kopf an die Trennwand.
In dem Moment begann das Handy in ihrer Tasche zu klingeln. Sie kannte die Nummer nicht, nahm das Gespräch aber an.
»Hey, ich bin’s.«
Noch nie war sie so glücklich gewesen, die Stimme ihres Mannes zu hören. Er war so gut. Er gab ihr Sicherheit. Sie wusste, seine Fehler waren nichts im Vergleich zu ihren.
»Hey«, sagte sie und versuchte, möglichst normal zu klingen. »Was ist los? Ich habe immer wieder versucht, dich zu erreichen.«
»Mein Akku ist leer.«
»Wo bist du?«
Im Flüsterton berichtete er, was mit Camilla Novak passiert war und dass Isabel die Flucht ergriffen hatte.
»Sie hat was getan?«
»Ich habe der Polizei nichts verraten. Sie hat es nicht so gemeint. Sie wollte mir nur einen echten Grund geben, sie gehen zu lassen. Sie hätte niemals auf mich geschossen.«
»Mein Gott.« Warum verloren plötzlich alle die Nerven? Bestanden sie alle aus Zuckerwatte? Ein paar Regentropfen, und alles löste sich auf? »Wo bist du?«
»Die Polizei hat mich zur Befragung mitgenommen. Sie behandeln mich… ach, ich weiß auch nicht. Sie wirken misstrauisch, wahrscheinlich denken sie, ich verschweige ihnen irgendwas.«
»Tust du das?«
»Nur das mit der Waffe. Und dass Isabel die Handtasche von Camilla Novak mitgenommen hat.«
»Wie bitte? Warum?«
»Äh … das weiß ich nicht. Sie war nicht besonders … gesprächig. Sie hat einen Tunnelblick, weißt du, und glaubt, sie könnte alles in Ordnung bringen.«
Linda stieß einen Seufzer aus, der sich zu einem Schluchzen steigerte. Sie war selbst überrascht über die Wucht des Gefühls. Sie hätte es nicht unterdrücken können, beim besten Willen nicht.
»Linda, ich brauche dich hier, hörst du?« Diese Bitte erinnerte sie an Ben, und sie schluchzte noch lauter.
»Bist du noch im Krankenhaus?« Er wartete ihre Antwort nicht ab. »Nimm die Kinder und fahr zu meiner Mutter. Sie erwartet euch schon. Dann komm bitte aufs Revier.« Er gab ihr die Adresse.
»Soll ich Fred allein lassen?«, fragte
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