Huete dich vor deinem Naechsten
sie. »Ich habe Mom versprochen, auf sie zu warten.«
»Sie wird es verstehen.«
Linda nickte. Sie hatte vergessen, dass er sie nicht sehen konnte.
»Linda«, sagte er, »wir schaffen das.«
»Erik, auch ich habe einen Fehler gemacht. Einen Riesenfehler«, brachte sie heraus, wischte sich die Augen, versuchte, ruhig zu atmen. Sie wollte ihm unbedingt alles beichten, jetzt und hier. Aber der Moment war mehr als ungünstig.
»Komm einfach her«, meinte er. Er klang so stark, so beherrscht. Er war immer genau so, wie sie ihn brauchte. »Und ruf diesen Anwalt an.«
»Okay«, sagte sie, stand auf und riss sich zusammen. »Ich komme.«
Sie wusste nicht, ob Ben immer noch auf dem Parkplatz lauerte und wie sie, falls es so war, mit den Kindern verschwinden könnte, ohne dass er es bemerkte. Sie würde es schon irgendwie schaffen.
Sie wusch sich eilig das Gesicht mit kaltem Wasser und verließ die Damentoilette. In der großen Eingangshalle stand eine kleine, gebrechliche Frau, die sich verwirrt umschaute. Sie trug einen eleganten, dunkelblauen Mantel und zog einen Rollkoffer hinter sich her. Linda brauchte den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie ihre Mutter erkannte. Irgendwie passte sie so gar nicht in dieses Chaos, in dem Lindas Leben versunken war.
»Mom!«
»Oh, Linda«, sagte Margie erleichtert. »Was, in aller Welt, ist hier los?«
Margie schien jedes Detail an ihrer Tochter wahrzunehmen, das zerzauste Haar, die verschmierte Wimperntusche, den Kaffeefleck auf dem Mantel - alles, was Linda eben noch selbst im Spiegel gesehen hatte. Margie runzelte die Stirn.
»Was, in aller Welt«, wiederholte sie, »ist hier los?«
SIEBZEHN
W as mich am Verheiratetsein am meisten überraschte, war, wie schnell man sich daran gewöhnte, wie schnell es nicht unbedingt banal, aber normal wurde. Nach der ersten Euphorie über die gefundene Liebe, nach der magischen Kennenlernzeit, den Aufregungen der Verlobung und dem stressigen Vergnügen der Hochzeitsplanung kommen die wunderschöne Hochzeitsreise und die vielen kleinen, nun folgenden Freuden: Wohnung einrichten, extravagante Hochzeitsgeschenke wegräumen, sich ans Zusammenleben gewöhnen; wir, nicht ich; uns, nicht mir. Alles glänzt, alles ist frisch und neu. Und dann… wurde es nicht schlecht oder langweilig, sondern einfach nur normal auf eine Weise, auf die ich nicht vorbereitet war. Dabei hätte es mich nicht überraschen dürfen. Linda hatte mir einen kleinen Vorgeschmack gegeben.
»Wenn du dich für den Richtigen entschieden hast und deinen Mann wirklich liebst, stirbt das Feuer der Leidenschaft nicht von einem Moment auf den anderen«, erklärte sie mir einmal, »es verwandelt sich vielmehr von einer Feuersbrunst in eine Zündflamme. Und wenn du nicht aufpasst, ist sie ausgeblasen, bevor du es merkst.«
»Du und Erik seid doch noch verliebt«, sagte ich.
»Ja, aber wir geben uns viel Mühe. Einen Großteil unserer Zeit verwenden wir auf die Kinder und die Arbeit. Niemals gehe ich ins Kino oder essen, ohne mir Gedanken um Emily und Trevor zu machen. Manchmal frage ich mich sogar beim Sex, ob er daran gedacht hat, die Stromrechnung zu bezahlen.«
»Linda!«
Ein kurzes Schulterzucken, flatternde Augenlider (wie sehr sie Margie ähnelte!). »So läuft es eben für eine Ehefrau und Mutter. Es ist aber nur halb so schlimm, wie es sich anhört.« Sie lächelte, wie es nur die ältere, erfahrenere Schwester kann. »Du wirst schon sehen.«
Nein, dachte ich, niemals. Nicht mit Marcus.
Und tatsächlich wurde es bei mir und Marcus anders, zumindest in sexueller Hinsicht. Wir entwickelten eine eingespielte Routine, was Arbeit, Abwasch, Schmutzwäsche und Rechnungen betraf, aber er erregte mich immer. Ich dachte nie an die Stromrechnung, wenn wir uns liebten. Natürlich hatten wir keine Kinder und blieben von jener Erschöpfung verschont, die Erik und Linda nach monate- und jahrelangem Schlafentzug und der ständigen Rücksichtnahme auf die kindlichen Bedürfnisse nicht mehr losließ.
Und dann hatte ich Marcus auch nie wirklich gekannt, hatte mein Bett mit einem Fremden geteilt und mich vielleicht nie richtig entspannt, war ihm nie nahe genug gekommen, um meine Gedanken schweifen zu lassen. Vielleicht weckte gerade diese Fremdheit meine Leidenschaft, ließ mein Wunsch, ihn endlich zu verstehen, mein Interesse nie erlahmen. Vielleicht blieb ich deshalb auch in schlechten Zeiten bei ihm, sogar als er auf meine Schwangerschaft und Fehlgeburt apathisch reagierte und eine
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