Huete dich vor deinem Naechsten
zurück. Er kniete sich neben mir auf den Boden. Ich zuckte zusammen, als ich das Peroxid in seiner Hand sah, die Wattebällchen, die Mullbinden, die antibiotischen Salben. Er tröpfelte etwas Peroxid auf einen Wattebausch, war ganz in seinem Element - der Macher, der alles unter Kontrolle hatte.
Was ist mit Jack? Die Lieblingsfrage meiner Schwester nach jedem beschissenen Date und jedem gescheiterten Beziehungsversuch. Er ist so nett. Er macht sich etwas aus dir, das sieht man.
Ganz offensichtlich sind wir gute Freunde, mehr nicht.
Das reicht für den Anfang. Es muss nicht immer mit Schmetterlingen im Bauch losgehen.
Du hörst dich an wie Mom.
»Isabel«, sagte Jack und hielt den triefnassen Wattebausch in die Höhe. Der antiseptische Geruch hing schwer in der Luft. »Das tut jetzt leider weh.«
»Gut«, sagte ich, »ich habe etwas gegen Veränderungen.«
Er warf mir einen halb amüsierten, halb mitleidigen Blick zu und stürzte sich dann ohne Erbarmen auf meine Wunde, während ich versuchte, die Fassung zu bewahren. Ich konnte nichts gegen die Tränenflut ausrichten, die aus meinem tiefsten Herzen zu kommen schien.
Jack sagte immer wieder: »Es tut mir leid, Iz. Es tut mir so leid.«
»Ben, was tust du hier?«
Ihr Atem hing als Wolke in der Luft. Sie zog den Mantel enger um sich.
»Steig ein«, sagte er sanft, ohne sie anzusehen. »Es ist kalt.«
»Ben, ich werde nicht in dein Auto steigen. Meine Kinder schlafen da drin.« Sie drehte sich um und deutete auf das große, weiße Gebäude. Sie wurde ganz unruhig bei dem Gedanken, dass die zwei da oben in Freds Krankenzimmer lagen. Was, wenn sie aufwachten, ans Fenster gingen und sie auf dem Parkplatz entdeckten, wo sie mit einem fremden Autofahrer sprach? Dann gäbe es viele Fragen, auf die Linda keine Antworten hätte.
Er hatte sie aus dem Krankenhaus herauskommen sehen, das hatte sie beobachtet, als er sich gerade hinsetzte und einen Blick in den Rückspiegel warf. Glaubte er, sie würde sich freuen, ihn hier zu finden? War er so verblendet?
»Bitte, Linda. Nur für eine Minute.«
Sie konnte den beißenden Gestank von zu vielen Zigaretten riechen, die auf engstem Raum geraucht wurden. Ben wirkte müde und erschöpft und hörte Blues. Linda kannte das Lied nicht. Eine traurige Frau besang eine verlorene Liebe. Ihre Stimme klang blechern, fast ein bisschen schaurig, und schrillte in Lindas Ohren.
»Nein, Ben. Was willst du hier? Bist du mir gefolgt?«
Er nickte und sah ertappt, aber nicht beschämt aus. Fast so als würde er denken, sie könnte sein Verhalten süß oder charmant finden. Tat sie aber nicht.
»Seit wann hast du vor meinem Haus gewartet?«
»Seit dem Coffeeshop.«
Sie entdeckte ihr Spiegelbild in der hinteren Seitenscheibe; ihr Gesicht drückte Ärger und Ungläubigkeit aus.
»Das ist nicht in Ordnung. Das ist … es ist …« Sie hielt inne, um sich zu beruhigen. »Das ist krank, Ben.«
Sie erwartete, dass er nachgeben, sich entschuldigen und endlich verschwinden würde. Morgen würde sie mit ihm Schluss machen. Ihre Familie steckte in einer Krise und brauchte sie. Darauf musste sie sich jetzt konzentrieren, und auf ihre Ehe. Das würde er einsehen und vielleicht sogar zu seiner Frau zurückgehen. Stattdessen erstarrte sein Gesicht, und sein Mund verzog sich zu einem wütenden Strich. Er lachte verbittert.
»Linda, ich habe mein Leben für dich weggeschmissen. Das Mindeste, was du für mich tun könntest, wäre, endlich in dieses verdammte Auto zu steigen .«
Seine Worte durchschnitten die Luft zwischen ihnen und zerstörten das, was sie einander bedeutet hatten. Sein Ton war dermaßen ungewöhnlich für ihn, dass sie ihn eine Sekunde lang ungläubig anstarrte und hoffte, es wäre ein Witz. Aber er meinte es ernst.
»Ich habe dich nicht darum gebeten«, entgegnete sie leise. Sie wollte ihn nicht noch weiter verletzen oder wütender machen, als er ohnehin schon war. Sie spürte seine Anspannung, und das machte sie fertig. Aber sie wollte, dass er verschwand. »Ganz im Gegenteil.«
»Das war nicht nötig!«, schrie er sie an, und sie zuckte zusammen. Dann schloss er die Augen und holte tief Luft. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ganz tief in deinem Herzen willst du es doch auch. Das weiß ich. Ich kenne dich. Das ist Liebe, oder? Zu wissen, was der andere will, und es ihm zu geben, ohne dass er darum bitten muss?«
Er schaute sie nicht an. Das war das Seltsame daran. Er starrte geradeaus, als wäre sie gar
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