Huete dich vor deinem Naechsten
mich auf viel zu vertrauliche Weise.
Du verstehst das nicht.
Ein wütendes Lachen. Ich verstehe es vollkommen. Du bist hier diejenige, die nicht versteht. Du bist einfach zu naiv, zu vertrauensselig.
Ich bitte dich!
Seit seiner Affäre hatte Marcus zum Thema Jack natürlich weniger zu sagen. Er beschränkte sich darauf, mir wütende Blicke zuzuwerfen.
Aber darüber dachte ich in diesem Moment nicht nach. Ich hatte immer noch den grauenhaften Schrei im Ohr und malte mir ein Horrorszenario nach dem nächsten aus. Nachdem ich mich angezogen und ein paar Fotos zusammengesucht hatte, versuchte ich, mich zu beruhigen, indem ich mir Erklärungen für den Anruf zurechtlegte. Vielleicht hatte er sein Handy verloren, oder es war ihm gestohlen worden, und was ich gehört habe, hatte nichts mit ihm zu tun. Vielleicht hatte er mich tatsächlich verlassen und lag jetzt in einem fremden Bett, vielleicht hatte er sein Handy, als er unser Leben verließ, in den nächsten Mülleimer geworfen. Wie besessen rief ich ein ums andere Mal an, nur um wieder und wieder bei seiner Mailbox zu landen. Als es Tag wurde, hatte ich das Haus verlassen, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben, aber stattdessen war ich vor seinem Büro gelandet. Ich stand vor dem Haus und hoffte, der Albtraum würde zu Ende gehen, bevor er richtig anfangen konnte.
Irgendwann sah ich Rick die Straße entlangkommen. Er lief an den schicken Boutiquen und Cafés vorüber und tippte auf seinem Blackberry herum, ohne mich im Hauseingang zu bemerken. Er war groß und schlaksig und hatte wilde, schwarze Locken, Koteletten und einen sorgfältig gestutzten Bart. Er trug verwaschene Jeans und unter der schwarzen Lederjacke, die trotz der Kälte offen stand, ein T-Shirt mit dem Aufdruck Love Kills Slowly . Er lief einfach an mir vorbei und sprang leichtfüßig die Treppe hoch.
»Rick«, sagte ich.
Erschreckt hob er den Blick von dem kleinen, schwarzen Gerät in seiner Hand. Er brauchte einen Augenblick, um mich in der ungewohnten Umgebung wiederzuerkennen. Er sah nicht gut aus, wirkte bleich, müde und gehetzt.
»Isabel«, sagte er und runzelte die Stirn. »Was ist los? Was tust du hier?« Er schaute sich um, ließ seinen Blick über die Straße schweifen.
»Marc ist gestern nicht nach Hause gekommen«, sagte ich. Ich beobachtete, wie er überrascht die Augenbrauen hob und kurz an mir vorbeischaute, um mir dann wieder in die Augen zu sehen. Er wollte Zeit gewinnen, um sich eine Ausrede auszudenken. Noch bevor er eine gefunden hatte, fragte ich: »War er gestern wirklich hier, als ich angerufen habe?«
Rick ließ das Blackberry in seine Jackentasche gleiten und senkte den Blick. Ich bemerkte die ersten grauen Haare in seinem drahtigen Schopf, die kaum merklichen Krähenfüße in seinen Augenwinkeln.
»Nein«, sagte er unverhohlen. »Er war nicht hier. Er ist nach seinem Meeting gestern nicht mehr hier gewesen. Er hat auch nicht angerufen.« Ich spürte eine eiskalte Welle der Enttäuschung über mir zusammenschlagen. Meine Angst wuchs. »Komm rein, Iz. Es ist kalt.«
Ich folgte Rick die Treppe hinauf, überlegte und versuchte, die Abläufe zu rekonstruieren. Marcus hatte nach dem Meeting nicht angerufen, obwohl er es mir versprochen hatte. Um drei Uhr nachmittags hatte ich zum ersten Mal versucht, ihn telefonisch zu erreichen, weil ich wissen wollte, wie es gelaufen war. Ich war weit davon entfernt gewesen, mir Sorgen zu machen. Zu oft hatte er unsere privaten Abmachungen vergessen, und tagsüber schien er ganz auf seine Arbeit konzentriert. Es war nicht ungewöhnlich, dass er nicht anrief, obwohl er es versprochen hatte. Mein Anruf war direkt auf die Mailbox umgeleitet worden - auch das nichts Ungewöhnliches. Ich hatte mir nicht einmal Sorgen gemacht, als er nicht zum Abendessen erschienen war. Aber als Rick und ich den obersten Absatz der schmalen, knarzenden Treppe erreicht hatten, wurde mir die hässliche Wahrheit bewusst. Seit gestern früh hatte niemand mehr etwas von Marcus gehört.
Im Flur hoffte ich noch, wir würden ihn im Büro vorfinden. Vielleicht hatte er die Nacht auf dem Sofa verbracht und war schrecklich verkatert. Izzy, es tut mir leid. Das Meeting ist schiefgelaufen. Ich bin einen trinken gegangen und habe die Kontrolle verloren. Verzeih mir. Obwohl es noch nie so weit gekommen war, sah ich die Szene deutlich vor mir. Rick tippte den Sicherheitscode ein, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die schwere Metalltür. Ich sah die Szene
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