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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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so klar vor mir, dass ich fast schon Erleichterung spürte, und brennende Wut.
    Aber nein. Das Büro lag still und verlassen da. Lange Reihen aus Schreibtischen, riesige, flimmernde Monitore, unter der Decke nackte Rohre und Leitungen. Industrieschick. Marcs durch eine Glasscheibe abgetrenntes Büro war dunkel und aufgeräumt. Während wir den Raum durchquerten, fing irgendwo ein Telefon zu klingeln an. Es hörte sich wie ein elektronischer Vogel an, der in einem Computer eingesperrt ist. Ricky ließ seine Tasche fallen und rannte los.
    Ich beobachtete ihn, bis er mir mit einem Kopfschütteln signalisierte, dass Marc nicht der Anrufer und auch nicht der Grund des Anrufs war. Ich schlenderte in Marcs Büro, knipste die Schreibtischlampe an und sah, dass Rick mich durch die Glasscheibe hindurch beobachtete, das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Ich ließ mich in Marcs riesigen Ledersessel fallen, legte die Hände auf die kalte Schreibtischplatte und betrachtete unser Hochzeitsfoto. Wir strahlten so glücklich, dass es gestellt wirkte. Hinter unseren Köpfen leuchtete ein prächtiger Sonnenuntergang in Orange, Lila und Rosa. Ich stöberte in offen herumliegenden Dokumenten und Umschlägen herum, las die Post-its, die am Lampenschirm und am Telefon klebten. Ich wusste nicht, wonach ich suchte. Dann fuhr ich den Computer hoch. Im selben Moment trat Rick ein. Er sah nicht glücklich aus.
    »Isabel, das mag er gar nicht.«
    »Verpiss dich«, sagte ich ruhig und leise.
    Rick starrte wieder auf seine Schuhe, steckte die Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch, so dass er aussah wie ein Geier. Ich fand ihn ein bisschen zu alt für seinen sportlich saloppen Stil. Vielleicht sollte er mal bei Barneys einkaufen und endlich erwachsen werden. Marcus erschien immer in Anzug und Krawatte zur Arbeit, klassische Eleganz mit einem zeitgenössischen Hauch. Rick hingegen kultivierte seinen punkigen Programmiererlook und verbreitete die dazugehörige Aura, bis hin zu seinem ungesunden Teint. Ich war immer der Ansicht gewesen, Marcus hätte den besseren Kundenberater abgegeben, aber er hasste diese Art von Arbeit. Rick und ein Team von Kundenbetreuern stellten den Kontakt zu den potenziellen Kunden her, beantworteten die Anfragen, kümmerten sich um die stetig wachsenden Bedürfnisse der Auftraggeber. Marcus war das Hirn der Firma, er trat selten in Erscheinung und hielt doch alle Fäden in der Hand. Rick war so etwas wie ein Strohmann. Ich fragte mich, ob er sich jemals darüber ärgerte.
    »Weißt du, wo er ist?«, fragte ich. Rick öffnete den Mund, um zu antworten, doch ich unterbrach ihn: »Lüg mich nicht an.«
    Er fixierte einen fernen Punkt hinter meinem Rücken. Ich studierte sein Gesicht. Was sah ich? Besorgnis, vielleicht sogar eine Spur von Angst. Er schüttelte den Kopf, dass die Locken wippten. »Nein, ich weiß nicht, wo er ist. Ich … ich wünschte, ich wüsste es.«
    »Als er nach dem Meeting nicht ins Büro gekommen ist, als er sich den ganzen Tag lang nicht gemeldet hat - fandest du das nicht ungewöhnlich? Hast du dir keine Sorgen gemacht?«
    Rick hob beide Hände.
    »Was willst du mir sagen?«, fragte ich wütend und ungläubig. »Das es nicht ungewöhnlich war?«
    Keine Antwort. Kein Blickkontakt. Ich sah den Schweiß auf Ricks Stirn, schwieg weiter und wartete auf eine Antwort, die nicht kam. Schließlich erzählte ich ihm von dem Anruf. Ich versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen, den Schrecken zu verdrängen. Rick sank auf den Stuhl vor Marcus’ Schreibtisch und ließ den Kopf zwischen die Hände sinken.
    Als er immer noch nichts sagte, griff ich zum Telefon. »Ich werde noch mal bei der Polizei anrufen.«
    »Warte«, entgegnete Rick erschreckt und hob den Kopf. Nein, er war nicht erschreckt. Er war entsetzt. »Warte kurz.«
    Ich ließ meine Hand auf dem Hörer liegen. »Rick, was ist denn?«
    Plötzlich ertönte im Treppenhaus ein lauter Knall. Die Stahltür barst. Rick sprang von seinem Sessel auf und ich von meinem, so schnell, dass der Drehsessel nach hinten schoss und gegen die Wand krachte.
    Wir standen wie angewurzelt da, als ein Dutzend Personen durch die Tür stürmte, die Pistolen im Anschlag und von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, sah man von den strahlend weißen Buchstaben in der Körpermitte ab: FBI.
    Die Zeit schien sich zu dehnen und zu strecken. Die Männer schwärmten aus, sprangen hinter die Schreibtische und verteilten sich im Büro wie Ratten in einem Labyrinth.

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