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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Waisenheims übermittelt, das etwa vierzig Minuten außerhalb von Prag lag. Die Nachricht ließ meine Haut am ganzen Körper kribbeln. Hatte er mir tatsächlich nur eine Frage gestellt, oder wollte er mir einen Hinweis geben?
    »Was wissen Sie darüber?Passen Sie auf sich auf, Isabel. Sie haben einen Tiger beim Schwanz gepackt. Achten Sie darauf, dass er sich nicht umdreht.«
    Plötzlich ging das Licht in der Lobby aus, und ich erschrak vor meinem glimmenden Monitor. Ich tastete mich bis an die Rezeption, aber der Angestellte von eben saß nicht mehr an seinem Platz. Der Computermonitor war dunkel; offenbar hatte der Rezeptionist Feierabend gemacht und war nach Hause gegangen. Das Hotel war zu klein, um sich einen Vierundzwanzig-Stunden-Service leisten zu können. Ich entdeckte ein kleines Schild mit einer Notfallnummer.
    Ich ging zum Computer zurück, druckte Detective Crowes Mail samt Anhang aus, bei dem es sich um eine Kopie der Überweisung an das Waisenhaus handelte. Dann stieg ich die Treppe hinauf zu Jack. Anscheinend war er vollständig bekleidet auf dem Sofa eingeschlafen. Im Fernseher lief BBC. Ich sah mein Gesicht auf dem Bildschirm. Der Ton war leise gedreht, aber unter meinem Porträt lief eine Textzeile durch: Verdächtige Frau wird nach New Yorker Verbrechensserie gesucht. Polizei bittet um sachdienliche Hinweise. Die Situation war so surreal, dass ich kaum etwas begriff.
    Jack hatte einen Arm über den Bauch, den anderen über die Stirn gelegt. Ich dachte kurz an meinen Plan, ihn abzuschütteln, und beinahe hätte ich ihn in die Tat umgesetzt. Er hatte einen tiefen Schlaf. Ich könnte ein paar Sachen einpacken, ihm eine Nachricht hinterlassen und verschwinden. Dann würde er hier ausharren oder nach Hause fliegen müssen, ohne zu wissen, wo ich steckte. Aber die Wahrheit war, dass ich ihn nicht loswerden wollte. Mir fehlte der Mut.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich da stand und ihn betrachtete, als mir plötzlich unsere gemeinsame Nacht einfiel. Was hatte ich damals gespürt? Wie ließ es sich mit meinen Gefühlen für Marcus vergleichen? Waren die für Marcus echter oder weniger echt gewesen? Anstatt zu verschwinden, kniete ich mich neben Jack und berührte sein Gesicht. Mir wurde innerlich warm, ein Gefühl, das nur Jack in mir auslösen konnte.
    Mein Vertrauen in ihn war grenzenlos, das war schon immer so gewesen. Ich vertraute Jack, wie ich meiner Schwester vertraute oder mir selbst. Ich verstand, wie er tickte, was ihn bewegte und antrieb, was ihm wichtig war. Plötzlich wurde mir klar, dass es bei Marcus anders gewesen war. Natürlich hatte ich ihm in gewisser Hinsicht vertraut, aber hatte ich nicht immer gespürt, wie fremd er mir war? War ich nur deswegen bei ihm geblieben? Das Schattenreich des Nichtwissens, das mich so magisch anzog.
    Jack öffnete die Augen, ohne zu erschrecken. Wir sahen einander an. Er hob eine Hand, um mir das Haar aus der Stirn zu streichen.
    »Hast du dich im Fernsehen gesehen?«, fragte er.
    Ich nickte.
    »Falls dich jemand im Hotel erkennt, sitzen wir in der Tinte«, sagte er. Ich hatte Mütze und Brille nicht abgesetzt. Meine Haar, mein auffälligstes Kennzeichen, waren sicher versteckt. Hoffentlich reichte das aus.
    »Warum bist du mitgekommen?«, fragte ich.
    Er wich mir nicht aus, überlegte aber kurz. »Das weißt du doch. Oder?«
    Ich nickte, dann fragte ich: »Kannst du dich erinnern?«
    Er brauchte nicht zu fragen, worauf ich anspielte. »Natürlich. Denkst du, ich hätte es vergessen?«
    »Ich weiß nicht, was ich denken soll.«
    »Du bist gegangen. Als ich aufgewacht bin, warst du weg.«
    Ich überlegte. Warum hatte ich ihn damals allein gelassen? Warum hatte ich mich im Morgengrauen davongeschlichen? Ich weiß noch, dass ich damals fürchtete, meinen einzigen Freund vergrault zu haben. Und wenn ich verschwand und so tat, als wäre nichts passiert, könnte ich unsere Freundschaft vielleicht retten.
    »Ich wusste nicht, wie du am Morgen reagieren würdest. Ob es dir leidtäte. Wir hatten uns immer so gut verstanden! Das wollte ich mir bewahren.«
    »Isabel«, sagte er, »damals warst du betrunken. Ich nicht.«
    »Doch, warst du!«
    »Nein. Na ja, ein bisschen beschwipst vielleicht. Aber ich wusste genau, was ich tat. Und was ich sagte.«
    Isabel, ich habe dich immer geliebt . Die Worte schwebten zwischen uns. Ich wich seinem Blick aus und schlug die Augen nieder. Jack setzte sich auf.
    »Ich fürchte, ich habe die Situation damals ausgenutzt.«
    »Nein.«

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