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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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mit Drogen zu handeln, oder sie prostituieren sich.«
    »Roma?«, fragte Jack.
    Ales versuchte, neutral zu klingen, dabei war sein Abscheu nicht zu überhören. »Zigeuner. Die sorgen hier nur für Probleme, auf politischer wie auf wirtschaftlicher Ebene.«
    Marcus hatte mir vom Hass der Tschechen auf die Roma erzählt und von den grauenhaften Verbrechen, denen sie bis heute zum Opfer fallen. Sogar die liberalen, gebildeten Tschechen verfluchten die Roma und betrachteten sie als Diebe und Verbrecher, Junkies und Betrüger, die das Sozialsystem plünderten. Ich musste an eins von Emilys Kinderbüchern denken, Madeline bei den Zigeunern : »Denn Zigeuner hält’s an keinem Ort. Sie kommen und ziehen wieder fort.« Die tschechische Regierung hatte den nomadischen Lebensstil verboten und war deshalb gezwungen, den Roma Wohnraum zur Verfügung zu stellen, was auf allen Seiten für noch mehr Hass und Unruhe sorgte. »Ein nicht absehbares Problem«, hatte Marcus gesagt. »Und nur eins von vielen.«
    »Sehen Sie nur, wie die Sie anglotzen«, schimpfte Ales hämisch. »Sie denken, Sie sind Brad Pitt und Angelina Jolie und wollen einen von ihnen mit nach Amerika nehmen.« Er war blass, hatte hellblondes Haar und braune Augen. Seine hängenden Schultern und der schleichende Gang hatten etwas Wölfisches. Wenn er lächelte, entblößte er seine spitzen, gelblichen Zähne. Ich mochte ihn nicht, aber ich hatte keine Wahl, außerdem schien er sich tatsächlich gut auszukennen.
    »Hast du gehört?«, flüsterte Jack. »Er findet, ich sehe aus wie Brad Pitt.« Jack wollte lustig sein, aber ich fand nicht die Kraft zu lachen.
    »Hoffentlich ist das Auto noch da, wenn wir zurückkommen«, meinte Ales und stieß ein kehliges Lachen aus, das sich in einen ordentlichen Raucherhusten verwandelte. Während der Fahrt hatte er ungefragt aus dem geöffneten Fenster geraucht. Sowohl Jack als auch ich waren zu höflich gewesen, ihn zu bitten, dass er aufhört.
    Ich warf einen Blick über die Schulter. Einer der Jungen hatte sich bereits aus dem Grüppchen gelöst und umrundete das Auto, während seine Freunde lachend zuschauten.
    Drinnen sprach Ales die junge Frau am Empfang leise auf Tschechisch an. Sie erhob sich von ihrem Platz, verschwand, kam kurz darauf zurück und murmelte ein paar Worte. Ales nickte und deutete auf eine Reihe orangefarbener Plastikstühle.
    »Ich habe ihr erzählt, Sie seien Journalistin und wollten einen Artikel über tschechische Waisenhäuser schreiben. Gleich kommt jemand.«
    Ich runzelte die Stirn, denn ich fand nicht, dass er damit den richtigen Weg gewählt hatte. Tschechische Waisenhäuser hatten bei Journalisten keinen sonderlich guten Ruf. Erst vor Kurzem hatte ich eine BBC-Reportage über ein Waisenhaus gesehen, in dem behinderte Kinder immer noch in einem »Käfigbett« liegen mussten. Obwohl die Betten mich zugegebenermaßen eher an Laufställe als an Käfige erinnerten. Dennoch hatte die Sensationsreportage in aller Welt für Empörung gesorgt.
    »Vielleicht sollten wir die Wahrheit sagen«, schlug ich vor.
    Er schüttelte den Kopf. »So ist es besser«, entgegnete er, »Sie werden sehen.«
    Aus Minuten wurde eine Stunde, und schließlich ging Ales zum Rauchen nach draußen. Jack war den ganzen Tag schon angespannt und wortkarg gewesen. Wir hatten die tschechische Kleinstadt besucht, die Marcus mir damals gezeigt hatte, und weitere Dörfer im Umkreis, um Fragen zu stellen und Fotos herumzuzeigen, doch wir hatten nichts geerntet als leere Blicke und Kopfschütteln. Obwohl wir von einem Tschechen begleitet wurden, betrachtete man uns als Störenfriede, als Eindringlinge. Eine Frau warf mit einem Stein nach uns.
    »Sie sagt, sie mag keine Amerikaner«, erklärte Ales mit einem höhnischen Lächeln. »Sie hält euch alle für Schweine.«
    »Wie nett«, meinte Jack. »Wirklich toll.«
    Ales lachte, im Gegensatz zu uns schien er der Situation etwas Komisches abgewinnen zu können. Noch bevor wir das Waisenhaus erreicht hatten, war ich demotiviert und müde. Jack erging es auch nicht besser.
    »Wie es wohl ist, an so einem Ort aufzuwachsen?«, fragte er, als Ales verschwunden war.
    Ich schaute mir die kahlen Wände an, die schweren Metalltüren, die grellen Neonlampen.
    »Einsam«, antwortete ich.
    Eine Tür ging auf, und eine junge Frau erschien. Sie war blass und zierlich, ihr blondes Haar streng nach hinten frisiert. Sie trug einen seltsam grellen, roten Lippenstift, obwohl ihre Kleidung - enger, grauer Rock,

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