Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
Vom Netzwerk:
darum? Ist es das wert?«
    Was sonst wäre es »wert gewesen«? Jede Figur ist eine Welt für sich mit Graustufen und Schattierungen, ja sogar der Möglichkeit umzukehren und ins Licht zu treten. Ich muss ins Schattenreich des Nichtwissens vordringen. Ich würde lieber in einer dunklen Gasse sterben, als mein Leben lang unwissend im Licht zu stehen.
    »Das ist doch lächerlich«, sagte Jack. »Ehrlich gesagt habe ich nie etwas Dümmeres gehört. Die meisten Leute haben Angst vor der Dunkelheit, Isabel. Aus gutem Grund.«
    »Ich bin nicht wie die meisten Leute.«
    »Ich weiß.« Er klang traurig, fast mitleidig.
     
    »Woran denkst du?«
    Wir hatten einen langen, ergebnislosen Tag hinter uns und fühlten uns beide müde und kaputt. Wir saßen an einem schweren Holztisch in einem schummrigen Lokal, das mich an den Ort erinnerte, wo Marcus mir den Heiratsantrag gemacht hatte. Der dunkle Raum wurde nur von Kerzenlicht erhellt. Die Kerzen steckten in Wandleuchtern und in Glashaltern auf den Tischen. In dem großen Kamin loderten orangefarbene Flammen.
    »Weißt du doch.«
    »Ja, weiß ich.«
     
    Am Prager Flughafen hatten wir ein Auto gemietet, einen großen, schwarzen, neuen Mercedes. Wir fuhren über eine von hohen, bunten Reklametafeln gesäumte Autobahn mit Straßenschildern, die keiner von uns entziffern konnte. Ich versuchte, uns anhand einer Karte, die ich nicht verstand, in die Stadt zu lotsen. Mit sehr viel Glück schafften wir es bis in die Kopfsteinpflasterstraßen von Prag, ohne uns vorher umzubringen. Nach weiteren nervenaufreibenden zwanzig Minuten, während derer wir fast eine Tram gerammt und eine alte Frau mit Krückstock ins Jenseits befördert hatten und dann noch in der falschen Richtung in eine Einbahnstraße gefahren waren, schlug Jack mir vor, einen Blick in meinen Reiseführer zu werfen. Vielleicht stehe dort eine Erklärung der Straßenschilder.
    »Touristen sollten in Prag auf keinen Fall Auto fahren«, las ich. »Das weitläufige Netz von Einbahnstraßen sowie die vielen Fußgängerzonen rund um das historische Zentrum bergen für viele ausländische Gäste das Risiko, sich zu verirren oder selbst zu gefährden.«
    Schließlich fanden wir unser Hotel, ein schmales Häuschen am Ende einer langen, gewundenen Straße, die an einen Park grenzte. Nie zuvor in meinem Leben habe ich mich so gefreut, einen Hotelangestellten mein Auto wegfahren zu sehen.
    Den Rest des Tages verbrachten wir damit, jemanden zu finden, der uns durch die Stadt führen und den Dolmetscher spielen würde, da ich das Tschechische kaum verstand. Es war mir unmöglich, Wörter korrekt auszusprechen, und während meiner zwei vorherigen Besuche hatte ich mich schon genug blamiert. Schließlich hatte Jack Erfolg; der Cousin des Rezeptionisten würde uns am nächsten Morgen abholen und für hundert Dollar einen Tag lang begleiten und bei der Spurensuche helfen.
    »Kann er nicht heute Abend kommen?«
    »Nein, das ist nicht möglich. Tut mir leid.«
    »Gibt es hier sonst niemanden?« Ich klang zickig und sehr amerikanisch. Der Rezeptionist zuckte gleichmütig die Achseln.
    »Ist schon gut«, meinte Jack. »Morgen früh reicht auch.«
    Jack lächelte den Rezeptionisten an und drückte ihm Geld in die Hand, was den Mann zu freuen und gleichzeitig zu ärgern schien.
    »Morgen früh reicht nicht «, flüsterte ich, als Jack mich die Treppe zu unserem Zimmer hinaufschob.
    »Es muss reichen.«
    Das Zimmer war hübsch, eine neue, blitzsaubere Suite. Parkettboden, Brokatvorhänge, kunstvoll geschnitzte, auf alt getrimmte Möbel, ein großes, gemütliches Bett. Im Badezimmer erwarteten uns glänzende Marmorwände und schöne, weiche Handtücher. Ich hatte das Four Seasons vorgeschlagen, aber Jack meinte, dort wären flüchtige Zeuginnen nicht willkommen. Ich bin mir ganz sicher, dass er unrecht hatte.
    Ich sank ins Bett und fühlte, wie meine Verzweiflung mich niederdrückte. Müdigkeit ließ meine Glieder und meinen Kopf bleischwer werden. Plötzlich wurde mir die Unsinnigkeit der Aktion bewusst. Meine Kopfwunde pochte.
    »Wir machen einen Fehler«, sagte ich. »Er ist nicht hier.«
    Jack setzte sich aufs Bett und legte eine Hand auf meine Stirn. » Wir sind hier. Wir werden alles versuchen, Izzy. Und falls wir ihn nicht finden, fliegen wir wieder nach Hause. Wenigstens kannst du dir dann sicher sein, alles probiert zu haben. Vielleicht gelingt es dir dann besser, damit zu leben und nach vorn zu schauen.«
    In dem Moment wurde mir klar, dass

Weitere Kostenlose Bücher