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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Wenn dein Bruder mit dem Senator Golf spielt, interessiert es die Leute viel mehr, wenn deine Tochter vergewaltigt oder deine Frau überfallen wurde. In den Sozialsiedlungen werden jeden Tag junge Frauen vergewaltigt und Leute ausgeraubt. In den Nachrichten hört man nichts davon. Manchmal machen sich die Polizisten nicht einmal die Mühe hinzufahren. Und falls doch, verbergen sie nicht ihren Abscheu und ihr Desinteresse. Nicht immer, aber meistens. Crowe hatte jahrelang in der South Bronx gearbeitet; er wusste, was seine Kollegen über die Opfer dachten und was über die Täter. Im nördlichen Midtown, wo die Reichen leben und arbeiten, sah die Sache anders aus.
    Als sie wieder in der Lobby standen, war Charlie Shane verschwunden. Ein dünner, ungepflegter Mann mit Bartstoppeln und wirrem, dunkelblondem Haarschopf hatte ihn abgelöst.
    Crowe zog sein Notizbuch heraus und blätterte darin herum, um den Namen des Portiers zu finden. Er notierte sich alles - Einzelheiten, Gedanken, Beobachtungen, Fragen. Er stellte sich vor, dass ihm das Büchlein eines Tages von großem Nutzen sein würde, wenn er seinen Roman schrieb. Bis dahin hielt es ihn in Übung; es half seiner Erinnerung auf die Sprünge, wenn er alle Aussagen protokollierte. Und was er nicht erinnerte, war aufgeschrieben.
    »Timothy Teaford?«, fragte er, als sie sich dem Mann näherten.
    »Ja«, sagte der. Aus der Nähe wirkte er noch jünger und noch verschlafener. Crowe bemerkte die Tätowierung, die aus dem Hemdsärmel hervorlugte; sah nach einem dieser Tribals aus, die heutzutage so beliebt waren. Crowe wies sich aus und erklärte die Lage, während Breslow telefonierte.
    »Wie schrecklich«, sagte Teaford, »das sind so nette Leute! Geben immer viel Trinkgeld.«
    »Waren Sie heute spät dran?«
    »Ich war krank«, erklärte er, »gestern Abend habe ich ganz gefehlt. Grippe.«
    Crowe merkte, wie Breslow einen halben Schritt zurückwich. Sie hatte panische Angst vor Viren und Bakterien. »Du hast keine Kinder«, hatte sie gesagt, als er sie damit ärgerte. »Wenn Benji eine Erkältung hat, falle ich für zwei Wochen aus - schlaflose Nächte, möglicherweise noch eine Ohrenentzündung obendrauf, Arztbesuche. Und eine echte Grippe? Hör bloß auf.«
    »Kann irgendjemand bezeugen, dass Sie gestern Abend zu Hause waren?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Meine Freundin hat mir was zu essen von Taco Bell mitgebracht, und dann haben wir uns einen Film angesehen. Sie ist über Nacht geblieben.«
    »Und wer hat Ihre Schicht übernommen?«
    »Keine Ahnung«, antwortete er. »Ich habe ihn angerufen. Keine Ahnung, wen er für mich eingesetzt hat.«
    »Wer ist ›er‹?«
    »Charlie Shane. Er ist mein Vorgesetzter.«
    Grady blätterte in seinen Notizen. Shane hatte nicht erwähnt, dass Teaford am Vorabend krank gewesen und nicht zur Arbeit erschienen war.
    »Wo ist er jetzt? Ist er noch hier?«
    »Seltsamerweise war er schon weg, als ich gekommen bin. Niemand war da. Die Tür war abgeschlossen, der Tresen nicht besetzt. Einer der Mieter hat mich reingelassen.«
    »Ist das ungewöhnlich für ihn?«
    »Äh … ja!«, sagte Teaford. »Jede Wette, der Kerl würde sich eine Liege ins Büro stellen und hier übernachten, wenn er nur dürfte?« Er sagte das ohne jeden Spott, schien ganz im Gegenteil eine Art kindliche Bewunderung zu fühlen, so als könnte er nicht nachvollziehen, dass manche Menschen sich so mit ihrer Arbeit identifizierten. Das gehörte in eine andere, längst vergangene Zeit, so wie die Dinosaurier. »Ehrlich gesagt kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, dass er jemals gegangen ist, bevor die Ablösung da war.«
    »Hat er eine Nachricht hinterlassen?«, fragte Breslow. Sie hatte das Gespräch mit der Einsatzleitung eben beendet und wollte gerade die nächste Nummer wählen.
    Teaford schüttelte den Kopf. Er sah wirklich erbarmungswürdig aus - die Uniform war zerknittert, und auf seinem Kragen prangte ein alter Fleck. Crowe konnte eine kleine gelbe Kruste an Teafords Augen sehen. Gleichzeitig wirkte er irgendwie süß, so unschuldig und sympathisch.
    »Können Sie ihn irgendwie erreichen?«, fragte Crowe.
    Teaford beugte sich blinzelnd vor und las laut eine Telefonnummer vor, die mit Klebeband hinter dem Tresen befestigt war. Jez wählte und wartete. »Anrufbeantworter«, flüsterte sie nach einer Minute.
    »Mr. Shane, hier spricht Detective Jesamyn Breslow vom NYPD. Bitte rufen Sie uns an, oder kommen Sie schnellstmöglich zum Gebäude zurück.«

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