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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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tatsächlich beendet. Das wäre leichter gewesen, als den Ozean des Kummers und der Angst zu durchschwimmen, der sich nun vor mir erstreckte. Ich zog Emily an mich und atmete den Shampooduft ihrer Haare ein.
    Die Schmerzmittel, die mir am Vorabend im Krankenhaus verabreicht worden waren, hatten sämtliche Fragen und Unterstellungen des Detective ausgelöscht. Nun aber kam der Schmerz zurück, und mit ihm das Gespräch. Ich wurde immer unruhiger, und schließlich schlüpfte ich aus dem Bett. Emily regte sich nicht, nur Brown riss seine traurigen Labradoraugen auf. Er grunzte, um mir zu vermitteln, dass ich ihn gestört hatte, und dann rutschte er an den Platz, den ich freigemacht hatte, und schloss wieder die Augen. Der Hund gehörte Emily; wohin sie auch ging, er folgte ihr.
    Ich zog den rosa Flanellpyjama aus, den Linda mir gegeben hatte - einer ihrer »Mütterpyjamas«, unvorteilhaft weit geschnitten und unglaublich weich nach zahllosen Waschgängen, die jedoch gegen einen bestimmten Fleck auf dem Ärmel nichts hatten ausrichten können. Ich konnte mich nicht erinnern, das Ding angezogen zu haben, schlüpfte in meine Klamotten, die auf einem Stuhl am Fenster lagen, und schlich hinaus. Ich hatte vor zu verschwinden, ohne die anderen zu wecken, denn ich wusste, dass sie mich aufhalten würden. Ich wollte weg, wollte in mein Apartment zurück, wollte endlich verstehen, was vor sich ging. Aber Erik war schon auf. Er saß Kaffee trinkend an dem Tresen, der die Küche vom Wohnzimmer trennte.
    Meine Schwester und ihre Familie lebten in einem weitläufigen Loft mit hohen Decken und ebenso hohen Fensterrahmen. Die helle, warme Morgensonne fiel durch die vorhanglosen Fenster. Der Raum mit den schlichten, niedrigen Möbelstücken in Elfenbein- und Brauntönen, den großformatigen Ölgemälden meiner Schwester - die zum Malen ebenso viel Talent hatte wie zum Fotografieren - und den zahlreichen Skulpturen, die sie von ihren Reisen mitgebracht hatten, war früher so still und ordentlich wie ein Museum gewesen. Dann aber war die Invasion in Form der jüngsten Familienmitglieder hereingebrochen und hatte den exklusiven Einrichtungsstil vernichtet.
    Über dem Kanapee hing ein T-Shirt von Trevor. Auf dem Wildledersofa stapelten sich Emilys Bücher bedenklich hoch. Daneben stand ein kleiner, wie ein Nilpferd geformter Kindersessel; der riesige Flachbildschirm war mit einer Spielkonsole verbunden, und auf dem Sofatisch lag ein halb ausgepacktes Monopoly. Browns Hundekorb war voller Haare. An der Kühlschranktür aus rostfreiem Stahl hingen Zeichnungen, Magnete, Fotos und Aufkleber.
    Ich sagte nichts, ging zu meiner Handtasche, die auf dem Boden lag, und überprüfte, ob Portemonnaie und Schlüssel darin waren. In dem Moment bemerkte ich, dass mein Ehering fehlte. Ich starrte auf meine nackte Hand, auf den hellen Fleck an meinem Ringfinger. Warum hatte ich es nicht schon früher bemerkt? Ich schaute zu meinem Schwager hinüber, der am Tresen hockte und mich beobachtete.
    »Habt ihr mir den im Krankenhaus abgenommen?«
    Er wusste sofort, was ich meinte. »Nein«, sagte er sanft, »er war schon verschwunden, als wir zu dir kamen. Tut mir leid, Iz. Deine Schwester hat es sofort gesehen. Wir dachten bloß … wir sagen es dir erst, wenn es dir auffällt. Wozu Salz in deine Wunden streuen …«
    Wieder sah ich das Gesicht der Frau in Marcs Büro vor mir - ihren mitleidigen, angewiderten Blick. Die Schlampe hatte mir meinen Ring gestohlen.
    Erik war zu mir herübergekommen. Ich ließ mich von ihm umarmen und zum Sofa führen. Als ich mich kraftlos daraufsinken ließ, rutschte Emilys Bücherstapel lautlos zu Boden. Wir ließen die Bücher liegen. Der riesige Weihnachtsbaum in der Ecke war chaotisch geschmückt und leuchtete bunt. Das manische Blinken war zu viel für meine müden Augen.
    »Ich glaube, es wäre besser, wenn du bleibst«, sagte Erik. Ich sah seine violetten Augenringe, den fremden, verkniffenen Zug um seinen Mund.
    »Erik, ich muss nach Hause«, sagte ich. »Ich muss…« Ich ließ den Satz in der Luft hängen.
    »Du musst was?«
    »Keine Ahnung«, keifte ich. Ich war wütend, wollte aber nicht laut werden. Ich wollte meine Schwester nicht wecken, weil ich ihr besorgtes Gesicht nicht sehen mochte. »Das Apartment durchsuchen! Einen Hinweis finden! Rausfinden, was, zum Teufel, mit meinem Mann passiert ist!«
    Erik nickte verständnisvoll. »Das erledigt die Polizei. Du solltest dich jetzt lieber um dich kümmern.« Er tippte

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