Huete dich vor deinem Naechsten
Ermittler der Mordkommission befördert. Viel zu früh in den Augen einiger anderer, die mehr Dienstjahre als er auf dem Buckel hatten. Aus diesem Grund war Grady nie so beliebt, wie sein Vater es gewesen war. »Vergiss die«, hatte sein Vater gesagt, »solche Leute sind Abschaum.«
Nachdem Shane ihnen die Namen und Adressen der anderen Portiers gegeben hatte, fuhren Grady und Breslow in den achten Stock hinauf und liefen durch den langen, mit dickem Teppichboden ausgelegten Flur.
»Ich fürchte, wir haben uns für den falschen Beruf entschieden«, seufzte Breslow und berührte die Tapete.
»Zweifellos«, meinte Grady, nur um nett zu sein. Er freute sich über schöne Dinge - hochwertige Kleidung, gute Restaurants -, aber Überfluss ließ ihn kalt. Er hämmerte gegen die Tür und modulierte seine Stimme, damit sie tiefer klang.
»NYPD. Bitte öffnen Sie die Tür.« Er schlug noch einmal gegen die Tür, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
Sie warteten eine halbe Minute, klopften noch einmal an, dann schloss Grady die Tür auf. Er konnte von der Schwelle aus sehen, dass im Flur eine zerbrochene Vase lag.
Sie stellten sich rechts und links von der Tür auf, zogen ihre Waffen und bewegten sich langsam hinein. Sie durchsuchten das Apartment Raum für Raum und überprüften alle Schränke, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren. Dann steckten sie die Waffen wieder ein. Jesamyn rief Verstärkung und die Spurensicherung.
Die atemberaubende Maisonettewohnung mit dem Parkettboden und den hohen Decken, der blitzblanken Profiküche und dem riesigen Schlafzimmer in der oberen Etage war vollkommen verwüstet. Die Möbel waren ramponiert, Vorhänge zerrissen, Regale umgeworfen, Bilderrahmen zertrümmert. Grady sah, dass zwei Computer entwendet worden waren, einer oben aus dem Schlafzimmer, der zweite von einem Tisch in der Küche. Die Monitore standen mit baumelnden Kabeln herum, so wie bei Razor Tech. Das Hängeregister im Wandschrank war ausgeräumt, die leeren Mappen wirkten wie aufgerissene Mäuler. Im oberen Badezimmer hatte jemand roten Nagellack auf ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto gekippt, das Isabel Raine mit einem großen Hund und zwei Kindern an einem Strand zeigte. Der Lack war noch nicht getrocknet.
Im unteren Geschoss untersuchte Grady das Wohnzimmer. Der angerichtete Schaden sprach von blinder Wut. Jemand hatte eine Reihe von Familienfotos von der Kommode gefegt und war darauf herumgetrampelt. Aus den aufgeschlitzten Kissen quoll die weiße Füllung. Das Chintzsofa war mit schwarzem Edding beschmiert. Die Zerstörung wirkte viel gehässiger als im Büro.
Grady trat einen Schritt vor und hörte Glas unter seiner Sohle knirschen. Er senkte den Blick und entdeckte ein ruiniertes Foto von Marcus und Isabel Raine. Sie hielt ihn von hinten umfangen und warf lachend den Kopf in den Nacken, während er mit ernsten Augen und kaum gehobenen Mundwinkeln in die Kamera starrte. Jemand hatte auf dem Bild herumgetrampelt, das Glas über Isabels Gesicht war zertrümmert. Marcus Raines Gesicht war seltsamerweise unberührt.
Jesamyn stellte sich neben ihn. »Wow«, sagte sie, »da ist jemand wütend .«
Grady betrachtete Isabels Gesicht. »Sehr wütend«, sagte er.
»Wie sind die hier reingekommen?«
Sie sahen sich an.
»Einer der Portiers«, meinte Breslow und beantwortete damit ihre eigene Frage, als sie das Apartment verließen. Grady schloss die Tür ab, während Jez zum Aufzug ging.
»Der Nachtwächter war noch nicht da, als wir hier angekommen sind«, sagte Crowe, als die Aufzugtüren sich schlossen und sie nach unten fuhren. »Der Nagellack im Bad war noch nicht getrocknet. Die waren während Shanes Schicht hier.«
»Zwölfstundenschichten?«, überlegte Breslow. »Ist das erlaubt?«
»Keine Ahnung«, sagte Crowe. »Wahrscheinlich bringt der Job das mit sich. Man lässt sich drauf ein oder eben nicht.«
»Wer arbeitet freiwillig zwölf Stunden am Stück für die Reichen? Macht den Putzfrauen die Tür auf, nimmt die Pakete und die gereinigten Klamotten entgegen?«
»Da hat der Türsteher seinen großen Auftritt. Das gibt ihm was, verstehst du. Eine Identität. Er steht in der Tradition des Dienens.«
»Den Reichen dienen? Nein, danke!«
Crowe fand, dass sie eigentlich nichts anderes taten. Sie beschützten und dienten. Nicht nur den Reichen, natürlich nicht, trotzdem bekamen die Reichen immer den besten Service - die schnelleren Einsätze, die respektvollere Behandlung. Auch von den Polizisten.
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