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Huete dich vor deinem Naechsten

Titel: Huete dich vor deinem Naechsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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sich an die Schläfe, um mich an meine Verletzung zu erinnern. » Wir sollten uns um dich kümmern.«
    Ich war aufgestanden und ging zur Tür. Erik versuchte nicht, mich aufzuhalten, das war nicht seine Art. Er war jemand, der seine Meinung äußerte und sich dann zurückhielt, damit die Leute eine Entscheidung treffen konnten. Er ließ sich auf das Sofa fallen, auf dem ich gerade noch gesessen hatte.
    »Izzy, da ist noch etwas«, sagte er, als ich meine Tasche umhängte und die Wohnungstür öffnen wollte. Er rieb sich die Augen und atmete geräuschvoll aus. »Ich weiß nicht, ob ich es dir sagen soll.«
    Ich spürte eine dumpfe Angst in mir hochsteigen. »Was?«
    Erik ließ kurz den Kopf hängen, blickte auf und fixierte einen Punkt über meinem Kopf. Ich sah mich gezwungen, zu ihm zurückzugehen und in einen Sessel ihm gegenüber zu setzen. Seit er mit Linda zusammenlebte, war er wie ein Bruder für mich. Ich mochte ihn, weil er ein guter Vater war und ein guter Ehemann.
    »Ich habe Marcus Geld geliehen. Einen Haufen Geld.«
    Eriks Haare waren so blond wie Marcus’, aber im Gegensatz zum ernst wirkenden Marcus hatte er eine jungenhafte Ausstrahlung und ein freundliches, offenes Gesicht. Marcus besaß einen harten, durchtrainierten, sehnigen Körper. Erik war schlank und in Form, wirkte aber sehr viel weicher. Seine Umarmung fühlte sich tröstlich an, anders als die von Marcus. An Erik konnte man sich anschmiegen, er umfing einen ganz. Marcus hielt immer Abstand, selbst dann, wenn er mich umarmte. Solche Unterschiede fielen mir ständig auf. Suchte ich den Vergleich? Ja, aber nur in meiner Rolle als Beobachterin, die die Dinge anhand ihrer Unterschiedlichkeit begreift und die nach verräterischen Details sucht.
    »Ich verstehe nicht«, sagte ich, dabei verstand ich sehr wohl.
    Erik räusperte sich, seine Hände zitterten. »Vor etwa einem Monat kam er zu mir und erzählte, er sei auf der Suche nach Investoren. Er entwickele gerade ein neues Spiel, das die Computerwelt revolutionieren würde. Es würde ein völlig neues Realismuslevel erreichen.«
    Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich wusste nicht, was Erik meinte. Marcus hatte nie etwas in der Richtung erwähnt.
    »Er hat es mir vorgeführt«, fuhr Erik fort und zeigte auf den Flachbildschirm an der Wand, »die Grafik war einfach … unglaublich. Mir fällt kein besseres Wort ein.« Erik starrte auf den Schirm, als könnte er die Bilder immer noch sehen. »Er sagte, die ersten Investoren würden ihr Geld locker verdoppeln. Mindestens. Er wollte mich und Linda beteiligen. Ich hatte keinen Grund, ihm zu misstrauen, verstehst du? Er gehörte zur Familie. Seine Firma lief gut.«
    »Wie viel hast du ihm gegeben, Erik?«, fragte ich und griff nach Eriks Hand.
    »Eine halbe Million«, erwiderte er, zog seine Hand zurück und stützte den Kopf darauf.
    Es verschlug mir den Atem. Ich keuchte. Ich musste an ein Gespräch denken, das ich vor Kurzem mit meiner Schwester geführt hatte. Es war um die Schulgebühren für Emily und Trevor gegangen, um die Unterhaltskosten für das Loft, die Steuern, Krankenversicherung, Lebensversicherung, Autohaftpflicht, sogar um die Miete für den Stellplatz. Ihre Lebenshaltungskosten waren hoch, und sie litten darunter, obwohl sie verhältnismäßig wohlhabend waren. Linda fühlte sich erdrückt. Dieses Wort hatte sie benutzt: erdrückt .
    »So viel hattet ihr doch nicht einfach so übrig, oder?«, fragte ich. »Ihr hattet doch keine fünfhundert Riesen auf dem Konto liegen.«
    »Äh - nein!«, sagte Erik. »Hatten wir nicht.« Er machte eine ausladende Bewegung. »Wir kommen zurecht, aber mehr auch nicht. Ich habe eine Hypothek auf das Loft aufgenommen.«
    Meine Schwester war alles andere als eine Glücksritterin. Sie hatte das Loft vor vielen Jahren mit dem Erlös ihrer ersten großen Ausstellung angezahlt, und seither hatte die Immobilie beständig an Wert zugenommen. Meine Schwester war erfolgreicher als die meisten Fotografen, aber als Künstlerin verfügte sie über kein festes Einkommen. Das Loft war ihr Sicherheitsnetz, ihr »Rettungsboot«, wie sie es nannte. Während der letzten zehn Jahre hatten sie es aufwändig sanieren lassen, und heute war es ein Vermögen wert. Selbst wenn alles in die Binsen ging, könnten sie immer noch das Loft verkaufen und eine Weile davon leben. Meine Schwester brauchte diese Sicherheit, um glücklich zu sein, um sich wie eine gute Mutter zu fühlen. Sie wollte immer gut für Emily und Trevor

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