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Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht

Titel: Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Rosenberg
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vor dem Marktstand.
    Manchen Menschen kerben die Jahre ihre Botschaft ein; andere altern mit Haltung und Anmut. Doria war überhaupt nicht gealtert; beinahe zwei Jahrzehnte waren über sie hin weggezogen, ohne sie zu berühren. Unter den weißen Gewändern wirkte ihr Körper ungebeugt; als sie ihm die Hand auf die Schulter legte, enthüllte der zurückgleitende Stoff einen festen jungen Arm.
    Einen viel zu kurzen Moment schwang er sie empor und schob sie dann ein Stück von sich.
    »Gott, Doria, du siehst gut aus.«
    Jede Spur von Kindlichkeit war längst aus ihrem Gesicht verschwunden, doch kein Netz feiner Linien überzog statt dessen ihre Haut, ihre Züge wirkten nicht erschlafft. Man hätte sie beinahe auf nicht mehr als zwanzig schätzen können, wären nicht die Augen gewesen.
    Die Augen. Sie beunruhigten ihn. Es lag nicht nur an der gelben Iris; man hatte den Eindruck, daß ihnen nichts verborgen blieb.
    Doria faßte seine Schulter mit erstaunlicher Kraft. »Es tut gut, dich zu sehen.« Sie führte ihn durch die Bude in die Kühle des kleinen, dunklen Raums dahinter.
    Eine weitere Klerikerin der Hand hielt sich dort auf, eine scharfäugige, schmächtige Frau, die Walter auf Anhieb nicht leiden mochte. Sie drehte sich um und ging ohne ein Wort.
    Doria winkte Walter auf einen Sitz. »Du schienst überrascht, mich zu sehen.«
    Ihm fehlten die Worte. »Ich hätte nicht geglaubt, daß sie dich je hinauslassen würden. Oder ...«
    Sie lächelte voller Zuneigung. »Oder was? Oder du wärst gekommen, um mich da herauszuholen?« Das Lächeln wurde breiter, als sie nach seiner Hand griff. »Selbst wenn ich mit dir gegangen wäre, was hätte deine Frau gesagt? Es ist gut so, Walter. Es ist mir gutgegangen. Ich habe Erfüllung gefunden.« Ihre Mundwinkel bogen sich nach oben. »Du auch, wie ich sehe«, sagte sie, und ihr Lächeln verlieh den Worten eine doppelte Bedeutung.
    »Ja. Erst letzte Nacht.«
    »Vorsichtig.« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Du bist unbezähmbar, weißt du das.«
    »Eine von vielen Facetten meines Charmes.«
    Ihr Gesicht wurde ernst, sie neigte den Kopf zur Seite, als lauschte sie einer fernen Stimme. »Walter, die Zeit reicht nur für ein kurzes Gespräch; ein Viehzüchter hat mich als Heilerin für einen Treck nach Pandathaway angeworben.«
    »Pandathaway?« Wahrscheinlich standen sie dort noch immer auf der Fahndungsliste.
    Sie wehrte seine Besorgnis mit einer Handbewegung ab. »Ich gehöre der Hand, Walter. Mir droht keine Gefahr, obwohl ich bald aufbrechen muß ...« Ein plötzliches Erschrecken malte sich auf ihrem Gesicht, und sie legte die Fingerspitzen an seine Schläfe. Etwas wie elektrischer Strom schien von ihrer Berührung auszugehen.
    »Karls Sohn!«
    »Ja, ich ...«
    »Pst.« Sie schloß die Augen für einen kurzen Moment und öffnete sie wieder. »So geht es schneller.«
    Eine lange Minute verharrte sie schweigend, den Blick auf einen Punkt in weiter Ferne geheftet.
    An diese neuen Fähigkeiten mußte man sich erst gewöhnen, befand Walter.
    Dann beschloß er, sich den gegebenen Umständen gleich anzupassen.
    »Kannst du etwas tun?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Keiner von der Hand wird etwas unternehmen, Walter. Ich bezweifle, ob ich dazu in der Lage wäre, selbst wenn ich wollte. Es bedarf größerer Kräfte als der meinen, um die schützende Aura von Jasons Amulett zu durchdringen. Die Mutter könnte es, wenn sie wollte ...«
    »Aber sie will nicht.«
    »Kann nicht. Keiner der Hand vermag dir zu helfen. Glaub mir. Es liegt ein Geas auf uns allen.« Sie biß sich auf die Lippe und tupfte mit einem Fingernagel gegen ihre Nasenspitze - eine Geste, deren er sich noch von früher erinnerte. »Und nur, weil ich nicht ausschließlich Doria von der Heilenden Hand bin, kann ich mich überhaupt mit dieser Sache befassen ...«
    »Doria, ich ...«
    Sie hob die Hand. »Bitte, alter Freund. Ich kann nur wenig tun. Bitte. Ahira ist immer noch zu einem viel größeren Teil James Michael Finnegan, als ich Doria Perlstein bin.«
    »Keine Hilfe? Keine Unterstützung?«
    Sie leckte sich einmal, zweimal über die Lippen, dann schüttelte sie den Kopf. »Wenn ich mich von dem Geas befreien könnte, vielleicht. Aber dann hätte ich nichts mehr, höchstens noch die Zaubersprüche in meinem Kopf. Nein.« Sie erschauerte.
    Wieder nahm er sie in die Arme und hielt sie fest. Diesmal ließ er sie nicht so schnell los.
    »Ich habe dich vermißt«, flüsterte er. Bis jetzt hatte er nie erkannt, wie sehr er

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