Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
sie vermißte.
Vor langer Zeit hatten sie sich geliebt. Nein, so ernsthaft war ihre Beziehung nicht gewesen: Sie hatten Spaß miteinander gehabt, im Bett und außerhalb. Walter war mit Leib und Seele dabeigewesen. Doria auf die eingeschränkte Art, die sie sich gestattete.
Doch das lag weit zurück.
Als er sie jetzt in den Armen hielt, gab es Wärme zwischen ihnen, aber keine Leidenschaft.
Wärme genügte.
Doria legte die Arme um ihn und bettete den Kopf an seine Brust. »Es gibt nur eins, das ich tun kann ...«
»Ja?«
»Ich kann dir Glück wünschen.« Mit tränenfeuchtem Gesicht schaute sie zu ihm auf. »Es ist nicht viel ...«
Walter hatte Doria immer liebevoll behandelt; es gefiel ihm, daß sie unter der Maske, die sie der Welt zeigte, so zerbrechlich war, daß er gar nicht anders konnte, als gut zu ihr sein.
»Das ist sehr viel, Doria.« Er drückte die Lippen in ihr Haar. »Mehr als genug.«
Mit einem Kopfnicken schob sie ihn von sich. »Aber du mußt jetzt gehen. Wenn es dir noch vor dem Zusammentreffen mit Ellegon und Tennetty gelingt, den Jungen ausfindig zu machen, kann alles gut ausgehen. Wenn nicht ...«
Es war, als hätte sich ein Vorhang über Dorias Gesicht gesenkt, das ihn plötzlich bar jeden Ausdrucks anstarrte.
Nein, das stimmte nicht ganz: Erstens war es nicht mehr Dorias Gesicht, und zweitens trug es einen Ausdruck, der jedoch fremd und kalt wirkte. Die gemeißelten Wangenknochen, die schmalen Lippen, die alles sehenden Augen erinnerten nicht mehr an ein menschliches Wesen.
»Doria?« Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wehrte ihn mühelos ab.
»Walter Slowotski«, sprach sie mit einer Stimme, die er nie wieder zu hören gehofft hatte, »du mußt jetzt gehen. Hier gibt es nichts, was du für deinen Freund tun könntest.«
Es war die wispernde und doch mächtige Stimme der Matriarchin von der Heilenden Hand, die kaum gedämpft über Dorias Lippen kam.
»Du mußt jetzt gehen«, wiederholte sie.
»Aber ...«
»Jetzt.«
Für einen kurzen Moment schaute Doria aus der Maske ihres Gesichts. »Bitte, Walter, geh.«
Dann war sie verschwunden, als die Matriarchin wieder von ihr Besitz ergriff. »Geh. Oder muß ich dich zwingen?«
Ein Knurren wollte aus seiner Kehle dringen, aber er beherrschte sich. Er konnte nichts tun, als gehorchen.
»Ich gehe«, sagte er zu seiner Freundin gewandt und mißachtete geflissentlich die Matriarchin, die sich ihres Körpers bediente. »Doria, laß es dir gut gehen.« Er berührte mit den Fingern seine Lippen und legte sie dann auf ihren Mund. »Leb wohl«, verabschiedete er sich. »Bis wir uns wiedersehen. Und wir werden uns wiedersehen.«
Er machte kehrt und ging, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.
Bei Sonnenuntergang traf er die anderen in dem schmuddeligen Gasthaus, wo sie für die Nacht ein Zimmer genommen hatten. Auf dem Boden und an den Wänden flanierten Kakerlaken, und in den Wänden konnte er das Kratzen und Schaben von Ratten hören. Sie hätten sich eine bessere Unterkunft leisten können - ein Gasthaus, dessen Besitzer sich aufgrund der höheren Preise einen Kleriker der Spinnensekte leisten konnte, der das Ungeziefer mit einem Vernichtungsfluch ausrottete, doch übermäßiger Luxus hätte nicht zu ihrer Tarnung als Kaufleute gepaßt.
Er traf als letzter ein. Ahira lag mit halb geschlossenen Augen auf dem Bett, während Aeia und Bren Adahan sich über einen Stadtplan beugten, den sie in die Schmutzschicht auf dem Boden gekratzt hatten.
»Guten Tag zusammen«, grüßte Walter und freute sich, daß seine Stimme viel gelassener klang, als er sich fühlte. »Etwas herausgefunden?«
Aeia schüttelte den Kopf. »Nein. Und wir haben die ganze Stadt durchstöbert, soweit ich das beurteilen kann. Wie war es bei dir?«
Ahira mußte irgendein besonderer Ton in seiner Stimme aufgefallen sein - sie kannten sich einfach zu lange. »Was ist es? Jason?«
Walter schüttelte den Kopf. »Keine Spur. Aber ich habe Doria getroffen.«
Der Zwerg verstand es ausgezeichnet, seine Überraschung zu verbergen. »Wie geht es ihr?« fragte er, vielleicht ein bißchen zu beiläufig.
»Gut.« Walter zuckte die Schultern. »Sie scheint keine Probleme zu haben. Und ich glaube nicht, daß einer von uns hingehen sollte, um mit ihr zu sprechen - sie scheint beruflich gerade sehr in Anspruch genommen zu sein und ... wir werden später darüber reden.« Es gefiel ihm nicht, vor den jungen Leuten über Doria zu sprechen; das war eine Angelegenheit für die
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