Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
blicken, den Feigling erkennen und sich angewidert zurückziehen.
Jason hatte sich nie so einsam gefühlt.
»Aus welchem Ort stammst du?« erkundigte sich der jüngere Posten.
»Ist das wichtig?«
»Ich habe gefragt ...«
»Artum.« Habel musterte ihn geraume Weile. »Nein, vermutlich nicht«, meinte er dann und benahm sich plötzlich ganz berufsmäßig. Mit einem groben Kalkbatzen malte er ein Zeichen an die Wand der Hütte. »Bei Anbruch der Nacht mußt du Metreyll verlassen oder dich bei einem Stadtwächter gemeldet haben - entweder hast du bis dahin eine Arbeitsstelle gefunden oder kannst genügend Geld vorweisen, um ihn zu überzeugen, daß du nicht darauf angewiesen bist, andere Leute zu bestehlen.«
»Ich werde die Stadt verlassen«, sagte Jason mit mehr Überzeugung als er empfand. Wohin geht man, wenn das Leben vorbei ist?
»Sehr schön, aber wenn du Arbeit suchst - Falikos, der Viehzüchter, stellt noch Treiber ein. Die Bezahlung ist beschissen, aber das Essen soll gut sein.«
»Vielen Dank; ich werde mich drum kümmern.«
»Du brauchst mir nicht zu danken; das ist meine Pflicht. Jetzt verschwinde.«
Als erstes mußte er einen Platz finden, wo er bleiben konnte; zwar hatte Jason keineswegs vor, seine ganze Barschaft herumzuzeigen - wie kam jemand in seinem Alter und mit seinem Aussehen zu so viel Geld? -, doch bestimmt durfte er wenigstens so viele Münzen sehen lassen, daß er sich Verpflegung und Unterkunft beschaffen konnte. Der Gedanke, als Treiber anzuheuern, reizte ihn nicht sonderlich. Trotzdem, sein Pferd brauchte Ruhe und Futter, und er brauchte Arbeit.
Wohin geht man, um aufzugeben?
Karl Cullinane hatte gelächelt und Mutter diese Frage gestellt, als sie an der Unfähigkeit eines Lehrlings verzweifelte, sich das Zahlensystem der Anderen Seite zu merken. Als Antwort hatte sie ihn verflucht und ihre Bemühungen verdoppelt. Es gab keinen Ort, wo man hingehen konnte, um aufzugeben.
Hier durfte er nicht lange bleiben. Bestimmt waren sie schon hinter ihm her, wollten ihm vorlügen, alles sei in Ordnung, sein Sohn könne ruhig ein Feigling sein - ein erbärmlicher Feigling.
Das schlimmste war, daß Ellegon ihn vielleicht ausfindig machte. Er konnte dem Drachen nicht gegenübertreten, und ihm auch nicht, niemals wieder, nicht bevor ...
... bevor was?
Das war die Frage, auf die er keine Antwort wußte.
Ein paar Tage. Mehr brauchte er nicht. Ein paar Tage, um seine Gedanken zu sammeln und sich darüber klar zu werden, was er als nächstes tun sollte.
Er fand ein Unterkommen für sich und das Pferd bei Vator, dem Stallbesitzer, wo er sich als Taren vorstellte, ein häufiger Name in ganz Eren.
Der fette, kahlköpfige Mann verlangte nach einem genauen Blick auf Jasons Gepäck einen weit höheren Preis für die Unterbringung seines Pferdes, als Jason für ortsüblich hielt, aber nachdem Jason ihm beim Beschlagen eines widerspenstigen Maultiers zur Hand gegangen war, bot er ihm als Gegenleistung für einen Tag Arbeit Kost und Logis auf dem Heuboden über den Stallungen an; außerdem erklärte er sich bereit, Jason bei der Stadtwache als seinen Gehilfen zu melden.
Das schien ein annehmbarer Handel zu sein; Jason nickte und ging an die Arbeit.
Die Arbeit war hart, doch trotz seiner Müdigkeit konnte er in dieser Nacht nicht schlafen.
Zum Teil lag es an den Insekten, die das Stroh bevölkerten; gegen Mitternacht war seine Haut von Hunderten von Bissen und Stichen übersät. Den kleinen Vorrat an Heiltränken in seinen Satteltaschen wagte er nicht anzubrechen; er hielt es für geraten, sie für Notfälle aufzubewahren.
An denen es bestimmt nicht fehlen würde.
Denn immerhin gab es einen Ausweg aus seinem Dilemma. Wenn er eine Heldentat vollbrachte, so gewaltig, so tapfer, daß seine Feigheit dagegen verblaßte, dann konnte er seine Schwäche vielleicht gutmachen, wenigstens halbwegs.
Er kratzte an einem neuen Einstich und rollte sich dann im Stroh zusammen.
Mein Vater bewährte sich, indem er deinen Vater tötete, Ahrmin. Du gehörst mir.
Er merkte, daß er schon wieder weinte, daß er die ganze Zeit über lautlos geweint hatte, so lange, daß seine Augen schmerzten.
Ich werde es schaffen, irgendwie, beschloß er. Es kam darauf an, daß er eine Entscheidung gefällt hatte: Er würde sich bewähren, auf irgendeine Weise.
Und diesmal, gelobte er sich, werde ich nicht weglaufen.
Blieben zwei Fragen: Wie konnte er ...
... und konnte er?
Jason wußte es nicht. Viele Chancen hatte er nicht;
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