Hueter Der Macht
gereist ist. Ich hoffe, dass der dortige Prior mir weiterhelfen kann. Und wenn Gott mir wohlgesonnen ist, besitzt der Prior womöglich sogar das Buch, das ich suche.«
Ein unbestimmbarer Ausdruck huschte über Marcels Gesicht, doch Thomas bemerkte es nicht.
»Und wenn ich von Nürnberg aus noch Weiterreisen muss«, sagte Thomas, »dann… dann… nun, dann weiß ich nicht, wohin meine Reise mich führen wird.«
Nun war es an Marcel, verächtlich zu knurren. Er lehnte sich zurück und leerte seinen Krug. »Ihr wisst nicht, was Euch in Nürnberg erwartet, nicht wahr? Nun… ich glaube nicht, dass Euch Eure Kirche oder Euer Orden von großem Nutzen sein wird. Ich bezweifle, dass Ihr Euch die Erlaubnis Eures Ordensgenerals eingeholt habt, bevor Ihr Sant’ Angelo verlassen habt… habe ich recht?«
Thomas sah überrascht aus. Er hatte gar nicht mehr an den Ordensgeneral gedacht, der ihm ursprünglich überhaupt erst gestattet hatte, Sant’ Angelo zu besuchen. »Ich bin sicher, Vater Thorseby wird Verständnis dafür haben.«
Marcel bedachte ihn nur mit einem spöttischen Blick.
»Ich bin überzeugt, dass er mich verstehen wird.«
»Thomas, die Kirche wird auch einem Mönch, der auf himmlischen Befehl hin quer durch Europa reist, niemals einen Ordnungsverstoß verzeihen! Gütiger Himmel, Thomas, sie würden Euch eher die Inquisition auf den Hals schicken, als Euch Glück zu wünschen!«
»Wenn ich sterben muss, um…«
»Ach, erspart mir Eure Worte! Wenn Ihr auf einem Stapel brennendem Holz den Märtyrertod sterbt, ist damit niemandem gedient, Thomas – höchstens dem Bösen selbst. Seid vernünftig!«
Thomas schwieg und betrachtete angelegentlich seinen Handrücken.
»Nehmt wenigstens die Hilfe Eurer Freunde an, Thomas. Behaltet den braunen Wallach. Er hat anscheinend Zuneigung zu Euch gefasst, warum, weiß ich allerdings nicht!«
Thomas’ Mund zuckte angesichts der gespielten Verwunderung in Marcels Stimme, doch er blickte nicht auf.
Da plumpste etwas auf den Tisch, und Thomas sah, dass es ein kleiner Geldbeutel war.
»Gold, Thomas«, sagte Marcel. »Nicht viel, aber genug, um Euch zu helfen, solltet Ihr in Not geraten.«
»Ich kann nicht…«
»Jeder Mann braucht ein wenig Gold an seiner Seite, Thomas, sei er nun Priester oder Kaufmann. Nehmt es. Seht es als eine Spende an die Kirche, mit der ich meine Seele retten will. Und wenn es Euch jemals nach Frankreich verschlägt, Bruder, dann sucht mich auf. Ich werde für Euch tun, was ich kann. Hier – ich habe noch etwas für Euch.«
Marcel schob einen Ring über den Tisch. »Das ist ein Siegel, das ich in meinem Amt als Vorsteher benutze. Wenn Ihr einmal in Paris seid und meine Hilfe braucht, gebt es einem Mann meiner Gilde. Er wird Euch zu mir führen.«
Thomas steckte den Geldbeutel und den Ring ein und sah Marcel schließlich doch in die Augen. »Ich danke Euch, Etienne. Ihr habt recht, ich kann es mir nicht leisten, die Hilfe wahrer Freunde abzulehnen.«
Marcel brummte, doch er grinste dazu, und Thomas lächelte zurück.
»Und jetzt sagt mir«, fuhr Thomas fort, »was Euch in solche Aufregung versetzt hat, dass Ihr uns noch heute Nacht verlassen müsst?«
»Es ist, wie ich gesagt habe. Der drohende Krieg hat unter den Bürgern von Paris und des Umlandes große Not verursacht. Die Steuern sind dermaßen gestiegen, dass viele hungern, um sie bezahlen zu können, und die Stadtmiliz wird in den Süden abgezogen, um sich König Johanns Armee anzuschließen und die Engländer zurückzutreiben. Paris ist schutzlos, und sein Volk in Aufruhr.«
»Ihr müsst die Engländer hassen«, sagte Thomas leise.
»Nein. Nicht die Engländer. Wir hassen unsere Adligen und den König mehr dafür, dass sie uns ausbluten und uns nicht einmal genug zu essen lassen. Die langen Jahre des Krieges haben uns geschwächt und ebenso unser Vertrauen in diejenigen, die uns beschützen sollen.«
»Aber Ihr schuldet Euren Adligen und dem König Treue, Marcel!«
»Wir schulden ihnen gar nichts, wenn wir ihrer Steuern wegen hungern und sie uns nicht beschützen!«
Thomas war bestürzt über Marcels Ansichten. »Und wenn Ihr nach Paris zurückkehrt, Marcel? Was geschieht dann?«
»Dann werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um das Leid der Menschen zu lindern.«
»Selbst, wenn das bedeutet, die Unzufriedenheit zu schüren, die die Ordnung der Gesellschaft gefährden könnte… die von Gott bestimmte Ordnung?«
»Ich würde diese Ordnung selbst stürzen, Thomas, wenn
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