Hueter Der Macht
ausgestreckt liegend.
Vom Brennerpass reiste die Gruppe beinahe auf direktem Wege nach Norden durch Innsbruck und Augsburg. Das war die Route, die sicher auch Wynkyn de Worde gewählt hatte, doch Thomas fand unterwegs in den Gesichtern und Worten der Menschen, denen sie begegneten, keinen Hinweis auf ihn.
Er verspürte in sich nur den drängenden Wunsch, so bald wie möglich nach Nürnberg zu gelangen, und er glaubte, dass dies der Einfluss des Erzengels auf seine Seele sei, der ihn dazu antrieb, Wynkyns Geheimnis zu lüften und herauszufinden, wie er gegen das Böse, das auf Erden umging, vorgehen konnte.
Gütiger Himmel, wie konnte er die Dämonen besiegen, wenn sie sich sogar mit solcher Dreistigkeit den Auserwählten Gottes zeigten? Heiliger Michael, ich bitte dich, gib mir Kraft.
Manchmal, wenn ihn solche Gedanken überkamen, stellte er fest, dass Marcel ihn beobachtete, als wüsste er um seine Zweifel. Marcel nickte ihm dann ernst und doch beruhigend zu, und Thomas fasste neuen Mut.
Vielleicht begleitete ihn der Erzengel in menschlicher Gestalt, um ihm zu helfen, denn Thomas fand in Marcel stets eine Quelle des Trostes.
An der Vigil zum Fest des heiligen Swithin, Mitte Juli, ritten sie müde und wund von dem Tempo, das Marcel angeschlagen hatte, in die kleine Stadt Karlsberg ein, die etwa eine Tagesreise von Nürnberg entfernt lag. Hier wollte Marcel eine Rast einlegen.
»Es gibt in diesem Ort eine Herberge, die ich gut kenne«, sagte er. »Der Wirt ist ein netter Mann und gastfreundlich, und wir werden noch einmal eine angenehme Nacht verbringen, bevor wir morgen Nürnberg erreichen.«
Die anderen nickten nur und folgten Marcel auf den Hof eines geschäftigen Gasthauses. Hausdiener und Stallburschen kümmerten sich um Pferde und Gepäck, und die Männer streckten die steifen Glieder und zogen die Handschuhe aus, während Marcel sie in die Herberge führte.
Es war ein großes Haus, geräumig, sauber und behaglich, und der Wirt eilte ihnen entgegen, um Marcel zu begrüßen. Die beiden wechselten ein paar rasche, leise Worte, dann wandte sich Marcel an die anderen.
»Ein Bote wartet hier auf mich«, sagte er mit besorgtem Gesichtsausdruck. »Setzt Euch schon einmal ans Feuer. Ich werde gleich wieder bei Euch sein.«
Der Wirt, ein hagerer Mann mit einem einnehmenden, runden, roten Gesicht, deutete auf ein paar Bänke, die vor einem Kamin standen, und versprach, ihnen unverzüglich Brot und Bier zu bringen.
Die Männer setzten sich, bis auf William Karle, der Marcel hinterherblickte, während der Kaufmann in einem kleinen Seitenzimmer verschwand.
»Entschuldigt mich«, sagte Karle und eilte hinter Marcel her.
Johann runzelte die Stirn und blickte seinen Vater an.
Biermann zuckte mit den Achseln, lächelte dann und nahm einen Krug voll schaumigen Biers entgegen, den ein Dienstmädchen ihm reichte. »Ah, wie gut das tut! In den letzten Wochen habe ich Marcel jeden Tag für den harten Ritt verwünscht, aber für dieses Bier verzeihe ich ihm alles! Kein Wunder, dass er sich so beeilt hat!«
Thomas schenkte der jungen Frau ein Lächeln, als sie ihm ebenfalls einen Krug reichte, und wandte sich dann wieder dem flämischen Kaufmann zu, ohne dem plötzlichen Erröten der Frau über sein Lächeln Beachtung zu schenken.
»Marcel hat sich ganz sicher nicht nur beeilt, um in den Genuss der Annehmlichkeiten dieses Gasthauses zu kommen, Meister Biermann«, sagte Thomas und nahm einen Schluck aus seinem Krug. »Und jetzt ist er zu einem Treffen mit diesem Boten geeilt, und Karle mit ihm, als würde seine Seele davon abhängen. Rufen Handelsgeschäfte stets solche Beunruhigung hervor?«
»Vielleicht geht es ja nicht nur um Geschäfte, Bruder«, antwortete Marcoaldi für Biermann. »Marcel ist, wie Ihr wisst, der Vorsteher der Pariser Kaufleute, und als solcher muss er sich um mehr kümmern als den Preis, den er für seine Ballen florentinischer Seide erzielen will. Und angesichts einer drohenden englischen Invasion«, Marcoaldi blickte Thomas direkt in die Augen, »die womöglich schon bis vor die Tore von Paris vorgerückt ist, ist Marcel sicher zutiefst beunruhigt. Das Schicksal seiner Landsleute liegt ihm sehr am Herzen.«
Thomas glaubte einen leicht feindseligen Unterton aus Marcoaldis Stimme herauszuhören. »Ich bin nicht verantwortlich für die Taten der Engländer, Meister Marcoaldi.«
Der Bankier grinste. »Natürlich nicht. Aber Ihr könnt Marcels Sorge doch verstehen, nicht wahr?«
Thomas neigte den
Weitere Kostenlose Bücher