Hueter Der Macht
zurückgekehrt…«
»Ja, ja.«
»Habt Geduld, Bruder, ich berichte Euch so gut ich es vermag. Nun, Wynkyn hat mich gebeten, die Schatulle an sein Heimatkloster zu schicken, wenn er nicht zurückkehren sollte. Gütiger Herr im Himmel! Es hat mich Monate gekostet und jede Menge Gold«, er blickte Thomas vielsagend an, doch dieser ging nicht auf die Anspielung ein, »um einen Kaufmann zu finden, der sie mitnehmen würde. Der Herr allein weiß, ob sie jemals ihr Ziel erreicht hat.«
Thomas schüttelte den Kopf, maßlos besorgt und enttäuscht. »Sie ist nicht in Sant’ Angelo angekommen…«
»An sein Heimatkloster! Habt Ihr mir nicht zugehört?«
»Aber Sant’ Angelo…«
»Sant’ Angelo war nicht Bruder Wynkyns Heimatkloster. Wie Ihr war er ein Engländer – habt Ihr alle solch furchtbare Manieren? –, und sein Heimatkloster befand sich am Rand des Moors von Bramham. Das kennt Ihr sicher. Ich glaube, es liegt im Norden Eures Landes.«
Thomas starrte den feisten Prior mit offenem Mund an. Wynkyn de Worde war Engländer gewesen, und er kam vom Bramhamer Moor?
»Ja, ich habe davon gehört, aber ich bin nie dort gewesen… Wynkyn ist kein englischer Name… Er war tatsächlich Engländer? Und die Schatulle wurde nach England geschickt?«
Guillaume erhob sich im selben Moment, als Bruder Gerhardt mit einem Krug Wasser und einem Becher hereinkam.
Der Prior bedeutete ihm, sich wieder zu entfernen.
»Ihr müsst Euch sicher auf den Weg machen«, sagte er, an Thomas gewandt, »unverzüglich.«
»Aber…«
»Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß, Bruder Thomas. Ihr findet Eure Antworten in England. Ich wünsche Euch einen schönen Tag und eine gute Reise.«
Thomas stand schließlich auf und neigte steif den Kopf in Guillaumes Richtung.
»Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft«, sagte er. »Ihr wart sehr liebenswürdig.«
Guillaume lief rot an. »Ihr müsst verstehen, Bruder, dass der Name Wynkyn de Worde nur schlechte Erinnerungen weckt. Es ist ein Segen, dass er von uns gegangen ist. Ich hoffe, er ist nicht ohne Beichte gestorben.«
»Sein Tod ist ein wahres Unglück«, sagte Thomas und konnte seinen Zorn kaum im Zaum halten, »denn ohne ihn sinkt die Welt immer tiefer in gottloses Chaos. Ich wünsche Euch einen guten Tag, Bruder Prior.«
Und damit machte er sich auf den Weg.
Kapitel Fünf
Das Fest des heiligen Swithin
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III. (Donnerstag, 15. Juli 1378)
– II –
Thomas blieb in Nürnberg nur so lange wie nötig, um ein wenig Essen und eine Flasche mit Wasser verdünntem Wein auf dem Markt zu kaufen, ehe er die Stadt durch das Nordtor wieder verließ.
Er war wütend auf Guillaume, doch der größte Teil seiner Wut war eigentlich Enttäuschung darüber, dass das Buch, in das er so dringend Einblick nehmen wollte, nach England geschickt worden war. Schon vor dreißig Jahren! Der Herr allein wusste, was mit der Schatulle und ihrem Inhalt auf der gefährlichen Reise quer durch die von den Nachwehen der Pest zerrissenen Christenheit geschehen war.
Die Schatulle befand sich in seiner Heimat. In England. Und wenn das immer noch zutraf, würde Thomas nach England zurückkehren müssen, um nach ihr zu suchen. England. Bei dem Gedanken daran verspürte Thomas Ungeduld und eine gewisse Beklommenheit. Ungeduld, weil er der Schatulle nicht näher zu kommen schien, und Beklommenheit angesichts dessen, was ihn in England erwarten mochte. Es gab so viele Erinnerungen, vor denen er nicht davonlaufen konnte. Doch das war es nicht allein – England war weit weg, und um dorthin zu gelangen, musste Thomas ein Land durchqueren, das sich am Rande eines Krieges befand. Eduards Armeen waren bereits in Frankreich. Er schauderte und fragte sich, ob er ihnen wohl begegnen würde.
Thomas hätte die Nacht in Nürnberg verbringen sollen. Er wusste das. Sein Pferd war müde und musste eigentlich gefüttert und abgerieben werden. Er war ebenfalls müde und brauchte etwas zu essen und einen Ort, wo er in Ruhe seine Gedanken sammeln und beten konnte.
Doch Wut und Enttäuschung trieben ihn vorwärts. Er wollte sich in dem Dorf Asterladen nach Wynkyn de Worde erkundigen, um herauszufinden, wohin es den rätselhaften Mönch auf seinen Reisen nördlich von Nürnberg getrieben hatte, doch Thomas bezweifelte, dass er dort viel erfahren würde. Dreißig Jahre waren seither vergangen, die meisten Leute, die Wynkyn gekannt haben mochten, waren sicher längst
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