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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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den Averardo ihm zugeraunt hatte, als er ihm die Schatulle gezeigt hatte. Er hatte die mit Blut gefüllte Schweinsblase behutsam in ihr Bett gelegt und die Schatulle zugeklappt. Dann hatte er an der rechten Seite des Deckels einen kleinen, daumennagelweit hervorstehenden Holzstift gedrückt, den Sandro gar nicht bemerkt hatte, und ihn in den geheimen Mechanismus eingeweiht, der sich beim nächsten Öffnen des Kastens in Gang setzen würde.
    Und es war bei Gott kein Zufall gewesen, dass ausgerechnet sechs Augäpfel ähnlich wie die sechs Kugeln im Medici-Wappen um den Fischkopf angeordnet gewesen waren.
    Hastig sah er sich um, als sich die Gottesdienstbesucher um sie herum langsam zu zerstreuen begannen. Nicht weit von ihnen entdeckte er Lionetto, der wild gestikulierte und auf einen Vertrauten einsprach. »Wir sehen uns nächsten Sonntag«, raunte er Tessa noch zu, bevor er sich davonmachte. Ihre Enttäuschung, dass er sie so unversehens stehen ließ, spürte er fast körperlich, doch er hatte keine andere Wahl, als das in Kauf zu nehmen, auch wenn er sich sehnlichst wünschte, dass sie ihn verstehen würde.
     
    Die Sache mit der Schatulle sollte nicht das einzige Unheil bleiben, das die Familie Vasetti in diesen Wochen heimsuchte. Denn bald darauf setzten bei Fiametta die Wehen ein, fast zwei Monate vor ihrer Zeit. Ihre Schreie hilfloser Verzweiflung drangen durch den ganzen Palazzo und sie flehte die Hebamme an, irgendetwas zu unternehmen, um die viel zu frühe Geburt ihres Kindes zu verhindern. Aber ihr Körper widersetzte sich allen Versuchen und presste das Kind aus ihrem Leib. Es war wieder ein Mädchen und es kam tot zur Welt. Niemand von der Dienerschaft hatte Lionetto jemals so in Rage gesehen wie an diesem Tag. Nicht einmal Rutino, der schon als junger Mann in seine Dienste getreten war. Doch schlimmer noch als sein wüstes Gebrüll und die Dinge, die er in seinem Tobsuchtsanfall zertrümmerte, waren die Worte, die er seiner wimmernden Frau ins Gesicht schleuderte.
    »Du taugst nicht einmal zum Kinderkriegen!«, schrie er sie an, sodass Tessa ihn bis draußen auf dem Gang hörte. »Verflucht sei der Tag, an dem ich den Namen Fiametta Panella zum ersten Mal gehört habe!«
     
    All dies geschah in den ersten Wochen des Jahres 1433, als endlich auch der so kostspielige und dennoch misslungene Eroberungsfeldzug gegen Lucca zu einem Ende kam. Nach langen, zähen Verhandlungen schloss Florenz einen Friedensvertrag mit Lucca und dessen Verbündeten. Sowohl Florenz als auch Lucca und Siena mussten die Eroberungen, die sie auf Kosten des Feindes gemacht hatten, wieder zurückgeben und sich auf die Grenzen zurückziehen, die vor Ausbruch der Kriegszüge gegolten hatten. So hatte Florenz nach fast drei Jahren Krieg seinem Machtbereich nicht eine einzige vorgeschobene Zitadelle, ja nicht einmal ein unbedeutendes Dorf einverleiben können, wohl aber Unsummen für Söldnerheere und Bestechungsgelder ausgegeben, sodass die Stadt nun vor leeren Schatztruhen stand.
    In den Augen der stolzen Florentiner war es ein höchst unehrenhafter Friede und die Suche nach den Schuldigen für das beschämende Scheitern des Eroberungsfeldzuges offenbarte einen tiefen Riss quer durch die Bürgerschaft. Zwischen den Parteigängern der Albizzi und denen der Medici brach ein erbitterter Kampf aus. Die Albizzi warfen den Medici vor, den Krieg hintertrieben und mit der Macht ihres Geldes vorsätzlich in die Länge gezogen zu haben. Die Medici gaben Rinaldo degli Albizzi die alleinige Schuld. Er habe aus persönlicher Ruhm- und Machtsucht mit seinen Getreuen einen Krieg vom Zaun gebrochen, der zwangsläufig die Erzfeinde Mailand und Siena auf den Plan rufen musste. Zudem habe er sich als Kriegskommissar im Feld als unfähig erwiesen und durch sein Unvermögen den Boden für die Katastrophe bereitet.
    Auffällig war, dass Cosimo de’ Medici sich mit öffentlichen Beschuldigungen zurückhielt und die Bühne seinem Cousin Averardo überließ. Dieser nutzte dann auch jede Gelegenheit, um Rinaldo degli Albizzi als Versager und Hauptschuldigen der Niederlage hinzustellen.
    Jede noch so unbedeutende Gesetzesvorlage scheiterte am Streit der beiden verfeindeten Parteien. Niccolò da Uzzano, der Einzige, der schlichtend hätte eingreifen können, war schon 1431, im zweiten Kriegsjahr gestorben. So prallten die beiden Lager ungehindert aufeinander und setzten ein Unheil in Gang, das die Stadt schon bald bis in ihre Grundfesten erschüttern sollte.

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