Hüter der Macht
mit einer Handbewegung den Mund verbot.
Lange Sekunden verstrichen, in denen Cosimo nicht einen Ton von sich gab, reglos in seinem Armstuhl saß und ihn unverwandt anblickte, als suchte er etwas in seinen Gesichtszügen. Nach über einer halben Minute beharrlichen Schweigens meinte Sandro, es nicht länger aushalten zu können.
Behutsam wählte er seine Worte. »Ich schulde Euch mein Leben«, sagte er schlicht. »Und dafür möchte ich Euch, Ser Cosimo, von ganzem Herzen danken und mich mit allem gebührenden Respekt entschuldigen.«
Ein Ausdruck, den Sandro nicht richtig deuten konnte, trat auf die kräftigen Züge des Medici.
»Auch ich schulde dir mein Leben, Sandro Fontana«, sagte er schließlich. »Es ist immer gut, wenn man weiß, was man einem anderen schuldig ist. Fehler zu machen und seine Schuld einzugestehen gehören untrennbar zusammen. Jeder macht Fehler. Aber es gibt Fehler, die begeht man nur ein einziges Mal im Leben.«
Sandro nickte und senkte den Kopf.
»Ich hätte es allerdings sehr bedauert«, fuhr Cosimo trocken fort, »wenn du diesen Fehler nicht überlebt hättest. Denn dann hätte ich einen tüchtigen Mann verloren, der es weit hätte bringen können. Zudem hätte ich mich der überaus lästigen Mühe unterziehen müssen, einen ebenso verlässlichen wie vertrauenswürdigen Nachfolger für die wöchentlichen Vorsprechtage zu suchen. Und das hätte ich dir schwerlich verzeihen können.«
Sandro blinzelte. Er konnte sein Gegenüber nicht richtig einschätzen, denn Cosimo verzog noch immer keine Miene. Hatte er ihm wirklich verziehen? Oder war er immer noch zornig?
»Du kannst jetzt gehen«, entließ Cosimo ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Auf dich wartet eine Menge Arbeit.«
Sandro holte tief Luft, bedankte sich noch ein weiteres Mal und wandte sich zur Tür. Doch als er sich dort noch einmal umdrehte, sah er, dass es in den Augen des Medici vergnügt blitzte und um seine Mundwinkel zuckte.
Ja, ganz eindeutig. Cosimo de’ Medici lächelte.
14
A m selben Abend noch lieferte ein Bote ein Päckchen im Palazzo der Vasetti ab. Dem ergrauten Hausdiener Rutino, der es an der Tür entgegennahm, teilte der Bote mit, dass er das Geschenk unverzüglich seinem Herrn Lionetto Vasetti und niemandem sonst bringen müsse, da es sich bei der Sendung um etwas von höchster Dringlichkeit handele. Der Diener versicherte, dass er das tun werde, und der Bote verschwand wieder in der Dunkelheit.
Tessa hatte ihrer Herrin an diesem Abend wieder einmal die Mahlzeit aufs Zimmer bringen müssen, weil Fiametta sich angeblich nicht wohl genug gefühlt hatte, um ihrem Mann und ihrem Schwiegervater am Tisch des Speisezimmers Gesellschaft zu leisten. Über mangelnden Appetit hatte sie jedoch nicht klagen können, sondern von einigen ihrer bevorzugten Süßspeisen sogar noch eine zweite Portion verlangt. Dass sich ihre schon vorher üppigen Rundungen allmählich in ausgewachsene Fettpolster verwandelten, schien sie nicht weiter zu bekümmern.
Tessa trat gerade mit dem Geschirr aus Fiamettas Gemach, als sie Lionetto Vasetti und dessen Diener Rutino unten im Innenhof stehen sah. Rasch verbarg sie sich hinter einer Säule.
Die Angst, dass Lionetto eines Nachts noch einmal über sie herzufallen versuchen würde, verließ sie keinen Moment. Jeden Abend schlief sie unruhig ein und wurde oft von Albträumen gequält, in denen sie sich Lionetto wehrlos ausgeliefert sah. Bei jedem Geräusch schreckte sie auf und lauschte mit jagendem Herzen angsterfüllt in die Dunkelheit, ob sich jemand ihrer Kammer näherte. Aber ihre Befürchtungen stellten sich gottlob jedes Mal als unbegründet heraus. Bis jetzt jedenfalls. Deswegen vermied sie es auch tunlichst, tagsüber Lionetto unter die Augen zu treten, denn schon mehr als einmal hatte sie geglaubt, in seinem Gesicht eine stumme Drohung zu lesen.
»Gut, dass ich Euch noch vor Eurem Weggehen antreffe, Herr«, hörte sie, wie der alte Diener Rutino seinen Dienstherrn aufhielt. »Soeben hat nämlich ein Bote dies hier für Euch abgegeben. Ich soll es Euch sofort aushändigen.«
»Was soll es sein, Rutino? Und von wem ist es?«, fragte Lionetto mit seiner unangenehmen Stimme, in der immer ein Hauch von Barschheit mitschwang.
»Ich kann Euch leider nicht mit einer Antwort dienen, denn der Bote hat sich nicht dazu geäußert.« Der Diener zuckte mit den Schultern.
»Schon gut«, sagte Lionetto und winkte Rutino, sich zu entfernen.
Mehr ungeduldig als neugierig spähte
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