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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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auf. »Ich ertrage es nicht länger, die Mörderin meiner Frau vor Augen zu haben! Doch wenn sie draußen vor der Stadt am Strick hängt, werde ich ganz vorn in der ersten Reihe stehen!«
    Raue Hände packten sie und zerrten sie aus dem Palazzo der Vasetti, der für lange Jahre ihr Zuhause gewesen war.
    Tessa leistete keinen Widerstand, wusste sie doch, dass sie verloren war. Es nutzte ihr nichts, dass sie den wahren Täter kannte, der ihr die Tat mit teuflischer Heimtücke angehängt hatte. Denn was galt schon ihr Wort, das Wort einer Sklavin, gegen das Wort eines mächtigen Mannes wie Lionetto Vasetti?
    Das, was sie durchlitt, war ein Albtraum, aus dem es kein gnädiges Erwachen geben würde.
    So blieb ihr nichts anderes, als zur heiligen Mutter Maria um Beistand zu beten, während die Büttel sie über die Straßen und Gassen in Richtung Gefängnis zerrten. Denn auch wenn sie am Galgen endete – das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, musste leben!

11
    Z itternd saß Tessa in der kalten Dunkelheit ihrer Kerkerzelle. Der Atem des Todes wartete unsichtbar vor der Gittertür darauf, dass man sie holte, mit dem Schinderkarren vor die Stadt brachte und ihr die Galgenschlinge um den Hals legte. Manchmal hörte sie in ihren Albträumen schon die Verwünschungen und höhnischen Zurufe der schaulustigen Menge, die sich bei jeder Hinrichtung auf dem Richtplatz einfand und Flaschen mit Wein und Fusel in ihren Reihen kreisen ließ, als gäbe es ein Fest zu feiern. Aber wenn ihr der Tod auch sicher war, so würde doch zumindest ihr Kind leben, das in ihr heranwuchs!
    Denn Tessas Gebete und ihr Flehen waren erhört worden. Noch auf dem Weg ins Gefängnis hatte sie sich daran erinnert, dass selbst eine überführte Verbrecherin während ihrer Schwangerschaft nicht gefoltert und nicht hingerichtet werden durfte.
    Zweimal hatten sie die Hebamme, die im Dienst des Gefängnisses stand, zu ihr geschickt, eine nach Alkohol riechende, mürrisch dreinblickende Alte. Sie hatte Tessa mit groben Fingern untersucht und schließlich bestätigt, was das Sklavenmädchen gesagt hatte.
    Und so war Tessa ohne Prozess in diesem finsteren Loch gelandet und hatte eine Gnadenfrist erhalten, die mit der Geburt ihres Kindes erlöschen würde.
    Längst hatte sie das Gefühl für die Zeit verloren, die seit ihrer Einlieferung verstrichen war. Tageslicht gab es nicht in dieser Welt, von der sie verschlungen worden war. Das finstere, modrige Loch, in das man sie geworfen hatte, lag irgendwo tief in den Eingeweiden des Gefängnisses. Am Anfang hatte sie dennoch versucht, die Tage zu zählen. Mit einem fingerlangen Steinsplitter, auf den sie im verfaulten Stroh gestoßen war, hatte sie jedes Mal einen Strich in die Mauer am Gitter geritzt, nachdem der Kerkermeister Vicenzo Moravi oder einer seiner Wärter ihr Wasser, angeschimmeltes Brot und manchmal zusätzlich noch eine Blechschüssel mit irgendeiner widerlich ranzigen, wässrigen Suppe gebracht hatte.
    Schon mehrmals hatten Durst und Hunger sie dermaßen gequält, dass sie geglaubt hatte, man hätte sie vergessen. Dann hatte sie mit ihren Fäusten gegen die Gitterstäbe gehämmert und geschrien, bis endlich jemand gekommen war – und sie für ihr Geschrei erst einmal mit Stockschlägen bestraft. Erst danach hatte man ihr Wasser und Brot gebracht.
    Auch war es zumeist zu dunkel um sie herum, sodass sie ihre Striche weder erkennen noch nachzählen konnte. Nur gelegentlich und ohne erkennbare Regelmäßigkeit verirrte sich ein schwacher Lichtschein über die steil abwärts führende Treppe zu ihr, wenn ein Wärter oben im Gang eine Pechfackel in eine der eisernen Wandhalterungen steckte.
    Irgendwann hatte sie aufgehört zu zählen. Es war ja auch nicht wichtig, ob sie nun schon seit zwei, drei oder vier Wochen oder gar schon länger rettungslos in der Finsternis verloren war. Wichtig war nur, dass sie ihren Lebenswillen nicht verlor und dass sie ihr Kind austrug.
    In manch einer dunklen Stunde quälte sie die Frage, ob es nicht gnädiger für das Kind wäre, ihrer beider Leben ein Ende zu setzen. Denn so könnte sie wenigstens ihm das Schicksal der Sklaverei ersparen.
    Doch immer dann, wenn sie die Regungen in ihrem bereits gewölbten Leib spürte, die zunehmend kräftiger wurden, wusste sie, dass sie sich niemals auf diese Art würde versündigen können.
    Die meiste Zeit kauerte Tessa auf einer alten Pferdedecke, die man ihr wegen ihrer Schwangerschaft zugestanden hatte, und sprach mit dem Wesen, das

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