Hüter der Macht
Hände und zwinkerte ihr zu. »Jetzt hast du etwas, worauf du dich freuen kannst.«
An diesem Tag hätte Tessa ihrer Herrin das reichhaltige Essen am liebsten gleich in den Mund gestopft, damit sie schneller fertig wurde. Es fiel ihr schwer, ihre Ungeduld zu bezähmen und Interesse für den Klatsch zu heucheln, den Fiametta von ihren wenigen Freundinnen aus der Nachbarschaft erfahren hatte.
Für den Gang in die Stadt brauchte sie noch nicht einmal einen Vorwand, denn Fiametta wollte unbedingt ein neues Mittel zum Bleichen der Haare ausprobieren.
Nach dem Angelusläuten gingen Tessa und Carmela in die düstere Klosterkirche von San Marco. Sie setzten sich in eine Bank, auf die ein wenig Licht durch eines der Kirchenfenster fiel, und Carmela erbrach das Siegel des Briefes. Aufmerksam folgte Tessa dem Finger ihrer Vertrauten, der den Zeilen folgte, während sie langsam vorlas.
»Mein geliebter Augenstern!
Wenn Du diesen Brief erhältst, was hoffentlich durch die Hilfe und Güte unserer verschwiegenen Freunde ohne Verzögerung geschehen ist, werden wir uns in Padua schon ein wenig eingelebt haben. Ser Cosimo ist mit großen Ehren empfangen und willkommen geheißen worden und es fehlt uns hier an nichts, was unser körperliches Wohlbefinden angeht. Aber was bedeutet das schon, wenn man sich so entsetzlich fern von dem geliebten Menschen weiß, nach dem man sich bei Tag und bei Nacht sehnt! Nie habe ich es für möglich gehalten, dass Liebe so schmerzhaft sein kann. Jede Freude am Leben ist mir geraubt. Was gäbe ich dafür, Dich wenigstens in meiner Nähe zu wissen! Wie oft habe ich in Florenz mit dem Schicksal gehadert, dass ich Dich nur so selten und dann auch nur für so kurze Zeit sehen konnte. Nun aber würde ich alles dafür geben, dass es wieder so wäre wie früher! Aber ich will Dir das Herz mit meinen Klagen nicht noch schwerer machen, als es auch so schon ist, weiß ich doch, dass es Dir nicht anders ergeht als mir und Du ein noch viel härteres Los zu tragen hast. Was Du mir bedeutest, kann ich ohnehin nicht in Worte fassen.
Daher will ich Dir kurz das Wichtigste berichten, das sich nach unserer Abreise ereignet hat. Für Ser Cosimo wurde der lange Weg nach Norden zu einem wahren Triumphzug, was seinen Feinden sicherlich zu Ohren gekommen ist und ihnen vor Augen geführt haben muss, dass sie sich mit der Verbannung der Medici vor aller Welt ins Unrecht gesetzt haben. Cosimo wurde mit Ehrungen geradezu überhäuft. Als wir durch die Toskana zogen, stand vielerorts das Bauernvolk an der Landstraße Spalier, und als wir den Berg von Pistoia erstiegen, überreichte ihm eine Abordnung der Stadt gar ein kostbares Gefäß mit Honig, wie man es sonst nur bei hochgestellten Botschaftern auf der Durchreise tut. Dieser Ehrenbezeugung folgten noch zahllose andere, so in Bologna und insbesondere in Ferrara, wo der Marquis uns sogar eine Eskorte an die Grenze zur Emilia entgegengeschickt und darauf bestanden hat, dass seine Ehrengarde Ser Cosimo auf dem Rest der Reise begleitet. Aus Venedig ist eine Abordnung des Dogen und mächtiger Kaufmannsfamilien eingetroffen. Die Regierung von Venedig will sich in Florenz dafür einsetzen, dass Ser Cosimo die Zeit seiner Verbannung in ihrer Stadt verbringen darf, da es dort eine Niederlassung der Medici-Bank gibt. Ser Cosimo ist guten Mutes, dass die Signoria diesen Wunsch ihres wichtigsten Verbündeten erfüllen wird. Auch ist er überzeugt davon, dass die Macht seiner Feinde in Florenz schon bald wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen wird und man lange vor Ablauf der zehn Jahre die Verbannung seiner Familie und seiner Getreuen aufheben wird. Du wirst verstehen, dass ich Dir darüber nicht mehr schreiben darf. Aber ich habe die große und wohl auch begründete Hoffnung, dass unsere Trennung, so bitter sie im Augenblick auch ist, bei Weitem nicht so lange währen wird, wie wir befürchten mussten. Und mit dieser Nachricht, die bestimmt auch Deinen Schmerz lindern wird und Dir Kraft und Hoffnung geben mag, will ich meinen Brief beenden. Ser Cosimos Bote, der auch mein Schreiben nach Florenz bringen soll, ist schon zur Abreise bereit. Gott halte allzeit seine schützende und segnende Hand über Dich, meine geliebte Tessa!
Es umarmt und küsst Dich in Gedanken, die stets bei Dir sind, Dein Sandro.«
Tränen standen in Tessas Augen, als Carmela den Brief sinken ließ.
Die Köchin strich ihr liebevoll über den Arm. »Ich weiß, wie schwer es ist, so innig zu lieben und
Weitere Kostenlose Bücher