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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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befand sich in einem fürstlichen Palazzo, der zu dem weitläufigen Gebäudegeviert von San Giorgio Maggiore gehörte.
    Sandros Blick ging über die breite Wasserfläche des Canale della Grazia, die im mittäglichen Sonnenlicht glitzerte, als wäre sie mit Silber bestreut. Boote jeder Art und Größe zogen unter den Riemenschlägen kräftiger Männer oder mit windgefüllten Segeln ihre Bahn.
    Das aus rötlichen Ziegeln errichtete Kloster der Benediktiner lag in der Lagune von Venedig auf einer kleinen Insel gleichen Namens, in Sichtweite des Stadtzentrums um San Marco. Die Unterkunft, die der Konvent Ser Cosimo und seinen Getreuen zur Verfügung gestellt hatte, entsprach der eines Fürsten und so behandelte man Cosimo auch. Die Stadt überhäufte ihn mit vielfältigen Ehren und man tat alles, damit seine weit verzweigten Geschäfte während der Verbannung keinen Schaden litten. Selbst konkurrierende Bankiers sprachen bei ihm vor und lobten ihn wegen seines geschäftlichen Scharfsinns und seiner Großherzigkeit. Dass Cosimo den Benediktinern schon in den ersten Tagen angeboten hatte, ihnen den Bau einer dringend benötigten Bibliothek zu finanzieren und von seinem Geld gleich auch noch eine Sammlung kostbarer Bücher anzuschaffen, war mit großer Bewunderung und Dankbarkeit aufgenommen worden. Mehr noch als all dies schätzte man an ihm, dass er über jene, die ihn in Florenz auf dem Richtplatz hatten sterben sehen wollen und sich dann mit Verbannung begnügt hatten, nie auch nur ein schlechtes Wort verlor, auch nicht über die Albizzi.
    Sandro wusste jedoch, dass dieses so freundlich gelassene und friedfertige Gesicht, das Cosimo in der Öffentlichkeit und im Gespräch mit Besuchern zeigte, unvermittelt ganz andere Züge annahm, wenn er sich im Kreis seiner engsten Vertrauten wusste. Dann sah er aus wie ein Mann, der nicht daran dachte, seinen Feinden großmütig zu verzeihen, sondern der mit Entschlossenheit und kühler Berechnung auf den Tag hinarbeitete, an dem er Vergeltung üben würde für das Unrecht, das man ihm und seinen Anhängern angetan hatte.
    Es hatte ihn schwer getroffen, dass sein Cousin Averardo während der Verbannung in Neapel erkrankt und schließlich gestorben war. Auch das war eine offene Rechnung, die es noch zu begleichen galt.
    Die Geduld und die Umsicht, mit der Cosimo dabei vorging, bewunderte Sandro immer wieder aufs Neue, doch sie gab ihm auch ein ums andere Mal Anlass zur Beunruhigung. Cosimo unterhielt nicht nur eine lebhafte Geheimkorrespondenz mit seinen Getreuen in Florenz, die ihn über alle Vorgänge in der Stadt auf dem Laufenden hielten, er schreckte auch nicht davor zurück, Menschen rücksichtslos für seine Zwecke einzusetzen.
    Als ein entfernter Verwandter Kontakt mit ihm aufnahm und ihm seinen Plan unterbreitete, mit einem starken Heer ausländischer Truppen in Florenz einzumarschieren und die Albizzi zu entmachten, schickte Cosimo unverzüglich einen Boten in die Stadt und legte der Signoria den Umsturzplan offen. Das machte großen Eindruck und förderte Cosimos Ansehen, den Verwandten kostete es jedoch den Kopf.
    »Das ist bedauerlich, aber wer mit scharfen Klingen spielt, der sollte sich nicht wundern, wenn es der eigene Kopf ist, der fällt«, lautete Cosimos kühler Kommentar, als die Nachricht von der Hinrichtung bei ihm eintraf. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.
    Das Verhältnis zwischen Sandro und Cosimo de’ Medici war in den Monaten der Verbannung noch enger und persönlicher geworden. Mittlerweile schenkten ihm auch Lorenzo de’ Medici und Cosimos Söhne Piero und Giovanni ihr Vertrauen. Er hätte allen Grund gehabt, sich seines Lebens zu freuen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken – wäre da nicht die Sehnsucht nach Tessa gewesen, die ihn jeden Tag ihrer Trennung aufs Neue quälte. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, setzte ihm seit einiger Zeit noch etwas anderes zu und steigerte seine Besorgnis um Tessa mit jeder Woche.
    Bis Anfang des Jahres hatte Sandro auf jeden Brief etwa drei Wochen später eine Antwort von ihr erhalten, die Tessa, wie sie schrieb, der Köchin Carmela diktiert hatte.
    In Tessas Antwortschreiben hatten neben den Schilderungen einiger kleiner Begebenheiten aus ihrem Alltag stets zu Anfang und am Ende wunderschöne, wenn auch viel zu kurze Passagen darüber gestanden, wie sehr sie ihn liebte, vermisste und hoffte, dass eine gütige Wendung des Schicksals ihn bald wieder zu ihr nach Florenz zurückbrachte.

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