Hüter der Macht
mithilfe eines Tuchzipfels einige Tropfen Laudanum eingeflößt, woraufhin das kräftige Gebrüll rasch verstummte.
»Du hast ihm doch hoffentlich nicht zu viel gegeben!« Tessa, die den kleinen Jacopo in ihren Armen hielt, spürte entsetzt, wie die winzigen Arme und Beine ihres Kindes immer schlaffer wurden.
Piera warf ihr einen giftigen Blick zu. »Ich weiß, wie man damit umgehen muss!«, erwiderte sie grob. »Und nun gib endlich das Kind her! Es muss in die Kiste, bevor einer der Wärter kommt. Hoffentlich haben die da oben das Geschrei nicht gehört. Denn dann werden sie uns das mit der Totgeburt nicht glauben.«
Tessa drückte ihren kleinen Sohn noch einmal an sich, zeichnete mit dem Daumen das Kreuz auf seine Stirn und reichte ihn endlich an Jacopo. Während die Hebamme das tote Kind aus den Tüchern wickelte und es mit Tessas Blut beschmierte, damit auch ja kein Verdacht aufkam, bettete er den kleinen Jacopo vorsichtig in den Hohlraum, legte den zweiten Boden darüber und räumte alle Gerätschaften wieder zurück in die Kiste. Dann verließ er die Zelle und rief nach dem Wärter, während Tessa sich zur Seite drehte und sich ihren Tränen hingab.
16
S andro saß im Hof des Gefängnisses auf einer kalten Steinbank und ließ die Perlen des Rosenkranzes immer wieder durch seine Finger gleiten. Aber er betete nicht. Er fand keine Worte für seine innigsten Wünsche. Du musst jetzt stark sein, mein lieber Sandro. Tessas letzter Satz klang in ihm nach. Er wollte ja stark sein, er wollte es für sie tun, aber er konnte doch nicht einfach mit ansehen, dass das Schicksal seinen Lauf nahm. Aus diesem Holz war er nicht geschnitzt, noch nie hatte er aufgegeben, selbst wenn die Situation noch so ausweglos erschien.
»Wollt Ihr nicht ins Kloster zurückkehren?«, fragte ihn ein Wärter verwundert. »Schließlich ist Eure Arbeit getan.«
Sandro schüttelte den Kopf. Sicherheitshalber hatte er die Kieselsteine wieder in den Mund gesteckt. »Die Hebamme hat gesagt, dass es eine schwere Geburt wird, weil das Kind quer im Mutterleib liegt. Es kann gut sein, dass die Frau die Geburt nicht überlebt und der Herrgott ihre sündige Seele schon in dieser Nacht vor seinen Richterstuhl ruft«, sagte er mit ernster Miene. »Man will mich sofort rufen, damit sie nicht ohne die Sterbesakramente vor unseren Schöpfer treten muss, und auch ihr Kind soll noch den priesterlichen Segen bekommen, sollte auch ihm ein schneller Tod beschieden sein.«
»Ihr seid ein wahrhaft frommer Mann, der wohl auch das bösartigste seiner Schäfchen nicht verloren gibt, Pater«, erwiderte der Wärter. »Wollt Ihr nicht mit uns in die Wachstube kommen?«
Sandro schlug das Angebot freundlich aus. »Es betet sich besser in der Stille und unter freiem Himmel, mein Sohn«, sagte er so salbungsvoll, wie er vermochte.
Der andere Wärter lachte trocken auf. »Und hier draußen riecht es auch um einiges besser als bei uns. Also dann, lasst Euch nicht weiter stören. Und wenn es nicht zu viel verlangt ist, betet vielleicht auch einen Rosenkranz für uns.«
Sandro nickte, dann hatte er den Innenhof wieder für sich allein.
Als bei Tagesanbruch der Kerkermeister und die neue Wache ihren Dienst antraten, wandte sich Sandro ein wenig ab, um sein Gesicht vor ihnen zu verbergen. Doch keiner schenkte ihm Beachtung, die Männer verschwanden geradewegs im Gefängnis.
Schon bald begann ein geschäftiges Treiben im Innenhof. Ein Wagen mit hohen Seitenwänden, gezogen von einem kräftigen Pferd mit struppiger Mähne, rumpelte in den Hof. Kurz darauf tauchten Wärter auf und führten acht Gefangene, deren gefesselte Hände durch ein Seil miteinander verbunden waren, mit sich. Mit groben Stockschlägen trieben sie die Männer und Frauen vor sich her auf den Wagen. In der Tordurchfahrt warteten vier Wachen, die den Transport der Gefangenen offenbar begleiten sollten.
»Na los, beeilt euch!«, trieb Vicenzo Moravi die Gefangenen an. »Oder wollt ihr vielleicht die Richter warten lassen? Meint ihr, die haben heute nur über euch Diebes- und Betrügerpack zu Gericht zu sitzen?«
Sandro spähte verstohlen zu den Gefangenen hinüber und sein Inneres verkrampfte sich, als er sich vorstellte, wie man Tessa in wenigen Tagen auf den Wagen stieß und zum Gericht brachte, wo die Richter unweigerlich das Todesurteil über sie fällen würden.
Der Wagen mit den Gefangenen und Wachleuten hatte den Hof längst verlassen, da hörte Sandro plötzlich das wütende Gebrüll von Vicenzo
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