Hüter der Macht
erklärt und nichts vorgebracht hat, das seine schändlichen Verbrechen mildern könnte. Das Gericht zieht sich nun zur Beratung zurück.«
Jacopo schloss einen Augenblick lang die Augen. Dann schlug er sie wieder auf und verkündete: »Das hohe Gericht ist einstimmig zu dem Urteil gekommen, dass Lionetto Vasetti schuldig ist in allen drei Punkten der Anklage. Es verurteilt ihn zum Tode durch den Strang! Das Urteil ist sofort zu vollstrecken.«
Er stand auf und trat zu Vasetti, in dessen Augen sich nackte Todesangst spiegelte.
»Nein, nicht du!«, sagte Sandro. Auch er stand auf. »Ich wünschte, du könntest es mir abnehmen. Aber das darf ich nicht zulassen. Das muss ich auf mein Gewissen laden. Du hast schon mehr als genug für Tessa und mich getan.«
Jacopo nickte und trat zurück. Jeglicher Spott, mit der er die Rolle des Richters gespielt hatte, war aus seinem Gesicht gewichen. Er wusste, wie schwer es Sandro gefallen war, Vasetti auf diese Weise zur Rechenschaft zu ziehen.
Sandro ging zu Vasetti hinüber und sah lange in dessen Gesicht. Sein Blick war kalt, genauso wie sein Herz.
»Gott sei deiner Verbrecherseele gnädig. Er mag dir vergeben, ich kann es nicht«, sagte er leise. Dann stieß er den Hocker weg.
Das Ende für die Albizzi und ihre arg geschrumpfte Gefolgschaft kam im Herbst 1434. Rinaldo degli Albizzi beging den folgenschweren Fehler, im August tatenlos der Wahl einer Priorenschaft und eines Gonfaloniere zuzusehen, die mehrheitlich die Medici unterstützten. Als die neue Signoria am 1. September ihre Amtsgeschäfte aufnahm, ließ sie den bisherigen Gonfaloniere unverzüglich verhaften und wegen Unterschlagung von öffentlichen Geldern unter Anklage stellen. Dann lud sie Rinaldo degli Albizzi und dessen engste Getreue Ridolfo Peruzzi und Niccolò Barbadori in den Regierungspalast vor. Dort teilte man ihnen mit, dass sie sich vor der Signoria wegen des Verrats an der Republik zu rechtfertigen hätten.
Die drei Männer dachten jedoch nicht daran, sich widerstandslos dem Schicksal zu fügen, das ihnen drohte. Vielmehr sammelte Rinaldo achthundert Bewaffnete um sich und ließ sie auf der Piazza vor dem Palazzo aufmarschieren. Die Männer drohten mit dessen Erstürmung und Plünderung.
Die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Prioren, die nun selbst um ihr Leben fürchteten, nahmen Verhandlungen mit Rinaldo auf. Sie boten ihm an, auf seine Forderungen einzugehen, sofern sie recht und billig und mit der Verfassung vereinbar seien. Im Gegenzug müsse er seine Truppen abziehen lassen.
Rinaldo lehnte hochmütig ab und für kurze Zeit sah es so aus, als würde es nun doch zu einem gewaltsamen Umsturz in Florenz kommen.
In dieser kritischen Situation griff Papst Eugenius ein, der im Kloster Santa Maria Novella weilte. Er schickte eine Botschaft zu Rinaldo degli Albizzi und befahl ihn zu sich. Diesem Befehl beugte er sich.
Niemand erfuhr, was die beiden Männer während ihrer langen Unterredung im Kloster besprachen. Als Rinaldo degli Albizzi den Papst wieder verließ, erteilte er seinen Leuten den Befehl, sich zurückzuziehen.
»Gut, dass du kommst!«, begrüßte Lorenzo de’ Medici Sandro fröhlich, als dieser im Palazzo in der Via Larga erschien. »Mein Bruder hat schon nach dir gefragt.« Mit gutmütigem Spott fuhr er fort: »Du siehst ja heute ziemlich mitgenommen aus! Mir scheint, du hast letzte Nacht wenig Schlaf bekommen.« Er zwinkerte Sandro zu. »Ich habe gehört, du und deine Tessa, ihr werdet schon bald heiraten.«
Sandro nickte und endlich konnte er auch wieder lächeln. Dann begab er sich zu Cosimo in dessen Arbeitszimmer. Das Oberhaupt der mächtigen Familie saß wie immer an seinem großen Faktoreitisch, wo er allerlei Papiere sichtete.
Erst vor wenigen Tagen, am 5. Oktober 1434, war er nach Florenz zurückgekehrt, auf den Tag genau ein Jahr, nachdem er sein Exil angetreten hatte. Eine Balia, die Ende September eingesetzt worden war und die mit dreihundertneunundfünfzig Mitgliedern die größte in der Stadtgeschichte bildete, hatte mit überwältigender Mehrheit die Verbannung der Medici und ihrer Anhänger mit sofortiger Wirkung aufgehoben und einen Boten nach Venedig geschickt. Das Volk von Florenz brach bei seinem Einzug in unbeschreiblichen Jubel aus und begrüßte ihn wie einen strahlenden Helden, der aus einem siegreichen Krieg zurückkehrt.
»Ich habe schon auf dich gewartet.«
»Bei mir ist es letzte Nacht sehr spät geworden«, entschuldigte sich Sandro
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