Hüter der Macht
Medici stolz eine frisch übersetzte Schrift des Plutarch.
»Ich denke, wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir die Toten wieder auferstehen lassen, zumindest die toten Geister all dieser großen Denker, die so lange im Verborgenen geschlummert haben«, sagte er.
Cosimo pflichtete ihm bei. »Hab nochmals Dank für deine Mühe. Begleitest du mich ein Stück?«
Langsam schlenderten die beiden Männer durch die Gassen Richtung Via Larga, wo sich die Medici-Bank befand.
»Wie lange wirst du diesmal in Florenz bleiben?«, fragte Cosimo.
»Du weißt, ich bin ein Wanderer, abhängig von der Gunst der Mächtigen«, scherzte Poggio, wobei sein Spott durchaus ernst gemeint war. »Manchmal fühle ich mich wie ein Boot ohne Segel und ohne Steuer, verschlagen zu verschiedenen Häfen und Ufern durch den trockenen Wind, welche die schmerzensreiche Armut ausatmet, eine Wanderung durch Hölle, Fegefeuer und Paradies. Und wo des Mächtigen Wunsch meinen Kurs …«
»Genug von Dantes edlem Pathos!«, fiel Cosimo ihm ins Wort. »Zumal das Zitat mit der Armut mir nicht recht zu deinem ausschweifenden Leben zu passen scheint, mein Bester. Also sag, was sind deine Pläne?«
»Das hängt ganz davon ab, wann es wieder irgendwo etwas Aufregendes für dich aufzutreiben gilt, aber keinesfalls vor Ende September. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und sich in der Hitze auf die Landstraße zu begeben ist wahrlich kein Vergnügen.«
»Dann kann ich also damit rechnen, dass du den Sommer wieder bei uns auf dem Land verbringst?«, fragte Cosimo.
»Das wäre mir ganz recht. Wann werdet ihr nach Cafaggiolo aufbrechen?«
»Recht bald«, antwortete Cosimo und nickte einem Mann höflich zu, der ihnen entgegenkam und den Gruß ebenso zuvorkommend erwiderte. Es war der podestà, der oberste Beamte der Stadt. Als äußeres Zeichen seines Amtes trug er eine rote Samtkappe und ein langes Gewand aus Brokat. Er bewohnte einen eigenen Palazzo, der zum Gefängnis der Stadt gehörte.
Als Cosimo und sein Freund Poggio die Piazza della Signoria mit dem trutzigen Palazzo Vecchio erreichten, begegneten ihnen mehrere Kaufleute, die in dünne Gewänder aus rosafarbenem und dunkelrotem Stoff gekleidet waren. Dabei war Rot die Farbe, die eigentlich nur denen zustand, die hohe Staatsämter bekleideten. Aber daran hielt sich die reiche Kaufmannschaft schon lange nicht mehr.
Cosimo, der wie üblich nur einen schlichten lucco aus beigefarbenem Leinen trug, verzog geringschätzig das Gesicht. »Zwei Ellen roter Stoff und schon steht der Adelsmann da«, bemerkte er mit trockenem Spott.
Poggio nickte und wies mit dem Kopf auf die Männer, die links von ihnen im Schatten des Regierungspalastes standen. »Rinaldo degli Albizzi und seine Getreuen machen trotz der Hitze ihre Runde durch die Stadt. Und drei unserer Prioren scheinen ihnen ja sehr aufmerksam zu lauschen, wie ich hörte. Ich möchte wetten, dass Albizzi bei ihnen für einen Krieg gegen Lucca wirbt und ihnen für ihre Unterstützung Gott weiß was an Gold und Ehre verspricht.«
»Die Wette würdest du haushoch gewinnen«, erwiderte Cosimo grimmig. »Leider stößt ihr verfluchtes Kriegsgerede immer öfter auf offene Ohren.«
»Die Parteigänger der Albizzi haben bei den Leuten den Eindruck erweckt, ein Sieg über Lucca sei ein Kinderspiel, und nun sind sie ganz wild darauf, dass die Signoria eine Söldnertruppe losschickt«, sagte Poggio aufgebracht. Er war über die politischen Geschehnisse bestens im Bild. Auch im fernen Ausland fand er seine Mittel und Wege und die Briefe Cosimos taten ihr Übriges. »Ich fürchte, der Waffengang gegen Lucca ist kaum noch aufzuhalten«, sagte er nun. »Wie werdet ihr Medici euch verhalten, wenn es dazu kommt?«
»Gegen Lucca in den Krieg zu ziehen wäre ein großer Fehler. Das würde uns wieder ein Vermögen kosten. Selbst der alte Niccolò da Uzzano stimmt mir darin zu.«
»Das ist mir bekannt, aber das beantwortet meine Frage noch nicht, Cosimo.«
Dieser machte ein verdrossenes Gesicht. »Wenn wir nicht auf verlorenem Posten stehen und uns nicht den Unmut des Volkes zuziehen wollen, wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als uns an Ciceros Ratschlag zu halten: Dass man die Herzen seiner Zuhörer oftmals am besten gewinnt, wenn man den Eindruck erweckt, dass man die Meinung der Mehrheit vertritt.«
»Ein interessanter Gedanke, wenn auch nicht gerade der redlichste«, sagte Poggio und zog spöttisch die Brauen hoch.
Cosimo zuckte gleichmütig mit den
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