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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Schauspielgruppen hatten sich auf den Plätzen und in den Gassen eingefunden. Mit ihren Kunststücken und Spottliedern buhlten sie um die Aufmerksamkeit und die Piccioli der vorbeiströmenden Menge.
    Tessa genoss die freien Stunden. Ihr Geld hielt sie jedoch zusammen. Es für irgendeinen Tand oder einen Imbiss an einem der Bratstände oder in einer der Garküchen auszugeben kam ihr nicht in den Sinn. Sie wollte jeden Picciolo sparen. Dass die wenigen Silbermünzen, die sie von ihrer Herrschaft erhielt und die Gemma ihr gelegentlich von ihrem eigenen Lohn zusteckte, nie und nimmer ausreichen würden, sich von ihrer Herrschaft freizukaufen, wie alt sie auch werden würde, das wusste sie. Wofür das Gesparte also einmal gut sein sollte, darüber machte sie sich keine Gedanken. Es gab ihr einfach das befriedigende Gefühl, etwas Eigenes zu besitzen.
    Als es langsam auf den späten Nachmittag zuging und es kühler wurde, begannen sich die Menschen in jene Straßen zu drängen, durch die bald die Reiter bei ihrem Wettstreit um den kostbaren Palio in wildem, halsbrecherischem Galopp jagen würden. Bei den Teilnehmern des Pferderennens würde es sich fast ausschließlich um die Söhne der reichen Grandi und Patrizier handeln, wie Tessa erfahren hatte. Denn wer sonst konnte sich auch ein schnelles Pferd leisten – und es wagen, diesen jungen Herren beim Palio Konkurrenz zu machen?
    Als Startpunkt für das Pferderennen diente traditionell eine Wiese bei der Kirche Ognissanti, die im Westen der Stadt lag. Von dort aus führte die Strecke quer durch Florenz hinüber zum Ziel bei San Pier Maggiori im östlichen Stadtviertel von Santa Croce.
    Dorthin machte sich Tessa nun auf den Weg, um in der Nähe des Ziels noch einen Platz am Straßenrand zu ergattern und zu sehen, wie das Rennen ausging.
    »Ich sage dir, dieses Jahr wird der junge Capponi das Rennen machen. Ich setze zehn Piccioli auf ihn«, hörte sie einen Mann sagen, der dicht hinter ihr ging.
    »Ach was, Rinaldo wird als Sieger durchs Ziel reiten! Die Albizzi lassen sich den Palio nicht nehmen. Die haben die besten Rennpferde im Stall. Und Rinaldo ist ein Draufgänger wie einst sein Vater«, setzte ein anderer dagegen.
    »Warten wir’s ab«, mischte sich ein Dritter ein. »Ich setze auf …«
    Aber was dieser zum Ausgang des Rennens sagte, ging in der lauten Musik von fünf Trompetern unter, die auf der anderen Seite der Piazza Aufstellung genommen und nun ihre Instrumente an die Lippen gesetzt hatten.
    Erwartungsvoll ließ Tessa ihren Blick über die Menge schweifen, die sich um die Bahn versammelt hatte und aufgeregt schwatzend auf den Beginn des Rennens wartete.
    Zufällig fiel ihr Blick auf einen jungen Mann, der gerade genussvoll von einem Zuckerkringel abbiss. Diesen Lockenschopf hatte sie doch schon einmal gesehen … Richtig! Das war doch der junge Landsknecht, der ihr damals geholfen und den sie vergeblich in der Nähe von Or San Michele einzuholen versucht hatte! Monate war das jetzt schon her.
    Ausgerechnet heute, inmitten all der vielen Menschen, tauchte er wieder auf! Sie winkte heftig und rief nach ihm, doch in dem Lärm der Menge und all der Aufregung um sie herum schien er nicht auf sie aufmerksam zu werden.
    Diesmal würde er ihr nicht im Gassenlabyrinth spurlos entschwinden! Diesmal musste sie die Gelegenheit nutzen, um ihm endlich zu danken.
    Der Landsknecht trat vom Straßenrand hinaus auf die Piazza, wohl um auf die andere Seite der Bahn zu gelangen. Er schien gar nicht auf den Lärm der Menge zu achten und war wohl ganz in Gedanken versunken und so bemerkte er auch nicht die vier Reiter, die in diesem Augenblick in gestrecktem Galopp heranpreschten. Die Trompetenfanfaren und der Lärm der Menge übertönten ihren Hufschlag.
    Tessas Hand fuhr zum Mund. Um Gottes willen! Die Reiter hielten direkt auf den Landsknecht zu!
    Tessa handelte, ohne lange zu überlegen. »Aufgepasst! Reiter!«, schrie sie so laut sie konnte, während sie auf ihn zustürzte, nach seinem Lucco griff und ihn mit aller Kraft zurückriss. Dabei stürzten beide zu Boden.
    Keine Sekunde zu früh! Denn schon im nächsten Augenblick galoppierten die Reiter an ihnen vorbei, wobei ihnen ein Pferd so nahe kam, dass ihnen der von den Hufen hochgewirbelte Dreck ins Gesicht geschleudert wurde. Wären sie nur eine Armlänge weiter in der Straße zu Boden gegangen, wären sie beide unter die Hufe geraten.
    Tessa schloss die Augen, blieb ganz still liegen und dankte dem Herrgott, dass er sie

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