Hüter der Macht
sie betreiben ein gut florierendes Getreidegeschäft.«
»Euer Vater wird bestimmt schon bald jemanden für Euch finden«, versuchte Tessa, sie aufzumuntern. »Und mit ein bisschen Glück ist es jemand, der sehr viel jünger ist als Riccardo Cavalli und den Ihr auch von Herzen lieben könnt.«
»Ja, das wäre schön«, pflichtete Fiametta ihr bei, um jedoch sofort einzuschränken: »Aber er muss zuallererst ein Mann mit einem möglichst vornehmen Namen sein, der etwas darstellt! Und gut versorgen muss er mich natürlich auch können! Das hat mir Vater versprochen! Auf keinen Fall will ich die Frau irgendeines beliebigen Handwerkers oder Weinhändlers sein!«
»Habt nur Vertrauen, Euer Vater wird es schon richten und eine gute Partie für Euch finden!« Tessa fand es traurig, dass es Fiametta allein um Geld und Ansehen ging. Doch sie war nur eine Sklavin und es war nicht vorstellbar, dass sich eine wie sie zu diesem Thema äußerte.
Fiamettas Tränen wollten noch immer nicht versiegen.
»Sagt, freut Ihr Euch auch schon auf das morgige Patronatsfest?«, versuchte Tessa, ihre junge Herrin abzulenken. »Es soll doch das schönste und aufregendste Fest des Jahres sein. Und denkt auch an den Palio am Nachmittag. Ich habe gehört, es soll an Spannung kaum zu überbieten sein!«
Fiametta zog einen mürrischen Flunsch. »Ich wüsste nicht, was es für mich morgen zu feiern gäbe! Und Pferderennen gibt es nicht nur am 24. Juni, sondern öfters im Jahr!«
Tessa schüttelte den Kopf. Sollte ihre Herrin doch hadern, sie wollte sich die Vorfreude nicht verderben lassen. Denn für sie war dieser Tag wahrlich etwas Besonderes. Florenz feierte den Namenstag des Schutzpatrons der Stadt, des heiligen Johannes des Täufers. Noch an diesem Abend würde es eine prachtvolle Prozession geben, bei der die Geistlichen mit den Reliquien aus allen Kirchen durch die Stadt ziehen würden, begleitet von den höchsten Vertretern der Regierung und den Abgesandten der Gilden.
Aber für Tessa war etwas ganz anderes wichtig. Gemma hatte ihr erzählt, dass es Brauch sei, der Dienerschaft am Morgen für zwei Stunden und nach dem mittäglichen Festmahl für den Rest des Tages freizugeben und selbst den Sklaven ein paar Piccioli in die Hand zu drücken, damit sie sich bei dem Fest ein wenig zerstreuen konnten.
Das erste Mal, seit sie in Florenz war, würde Tessa in Freiheit durch die Stadt gehen können – und sei es nur für wenige Stunden!
5
D röhnende Hammerschläge und eine wabernde, klebrige Gluthitze aus den Kesseln der Erzgießerei erfüllten die Halle, in der der Goldschmied, Erzgießer und Bildhauer Lorenzo Ghiberti seiner hohen Kunst nachging. Ein scharfer Geruch lag in der aufgeheizten Luft. Mitten in der Halle stand ein klobiger Werktisch. Zwischen allerlei Gerätschaften lag ein schmutziges Wolltuch und darauf stand eine kleine Truhe aus Bronze.
»Prächtig!«, rief Cosimo de’ Medici. »Das ist eine Arbeit, die Euch wieder einmal alle Ehre macht! Ihr seid wahrlich ein Meister Eurer Kunst, der seinesgleichen sucht!« Beinahe andächtig strich er mit den Fingerkuppen über das vergoldete Deckelrelief. Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, aber das störte ihn nicht. Das Relief zeigte die beiden heiligen Märtyrer Cosmas und Damian, nach denen sein Vater ihn und den bei der Geburt verstorbenen Zwillingsbruder benannt hatte.
»Ich weiß, was ich Euch schuldig bin!«, rief Lorenzo Ghiberti, der mit rußverschmiertem Gesicht neben ihm stand. Ein grauer Haarkranz umgab den kräftigen, fast schon kahlen Kopf des fünfzigjährigen Mannes, der in Florenz mittlerweile genauso berühmt war wie sein Konkurrent Filippo Brunelleschi. Mehr als zwanzig Jahre lang hatte er an den achtundzwanzig teilvergoldeten Relieffeldern der Bronzetür für das Ostportal des Baptisteriums San Giovanni auf dem Domplatz gearbeitet. Die Darstellungen aus dem Neuen Testament waren ein Meisterwerk geworden, das ihm großen Ruhm eingetragen hatte. Inzwischen arbeitete er an den zehn Feldern für ein zweites Portal, für die er Szenen aus dem Alten Testament ausgewählt hatte. »Ich hoffe, Eure Reliquien finden in der Truhe den ihnen angemessenen würdigen Platz.«
Cosimo nickte. »Das werden sie. Sie ist ihrer mehr als würdig«, versicherte er. Er vergaß nie, dass Damiano zur selben Stunde wie er zur Welt gekommen war, und er fragte sich oft, wie es wohl gewesen wäre, wenn sein Zwillingsbruder am Leben geblieben wäre. Er ehrte dessen Andenken,
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