Hüter der Macht
es den Gepflogenheiten entsprach, waren sie sich rasch nähergekommen.
»Also, dieser gewaltigen Flut an Wechseln und Schriften aller Art, die Tag für Tag über uns hereinbricht, kann man nur Herr werden, wenn man …«
Weiter kam Matteo nicht, denn in diesem Augenblick stieß Falco Portinari schwungvoll die Tür zur Schreibstube auf und ein Schwall kalter Morgenluft strömte mit ihm herein. Mit der linken Hand öffnete er die Silberschließe seines wollenen Umhangs, und während er sich ihn mit einer ebenso energischen wie fließenden Bewegung von den Schultern zog, wies er auch schon mit der anderen Hand auf Sandro und forderte ihn knurrig und mit strenger Miene auf, ihm darzulegen, was er ihm tags zuvor über das besondere Wesen eines doppelten Wechselgeschäftes erläutert hatte.
»Unser Kunde möchte hier in Florenz tausend Florin von uns ausgezahlt bekommen und verbürgt sich mit einem Wechsel in englischer Währung, der auf seinen Mitarbeiter in London ausgestellt ist. Wie gestaltet sich dieses Geschäft für unsere Bank, Sandro Fontana?« Portinari fasste ihn scharf ins Auge. »Und vergiss keine Einzelheit!«
Sandro war froh, dass er Matteo gestern am späten Abend noch einmal dazu befragt hatte. Er schluckte und räusperte sich kurz, bevor er sich der Aufgabe stellte. »Nun, da ein Florin aufgrund des aktuellen Avviso in Florenz vier Pence mehr wert ist als in London, legen wir diesem Geschäft erst einmal einen Wechselkurs von vierzig englischen Pence pro Florin zugrunde, sodass der Wechsel sich auf vierzigtausend Pence oder hundertsechsundsechzig Pfund, ein Shilling und sechs Pence beläuft.«
»Und über welchen Zeitraum läuft dieser Wechsel?«
»Über neunzig Tage«, antwortete Sandro, ohne zu zögern. Diese Zeitspanne hatte die Geldwechslergilde als Höchstdauer einer Reise von Florenz nach London und umgekehrt verbindlich festgelegt – wie auch die Reisezeiten zu vielen anderen bedeutenden Handelszentren, auf die Portinari dann auch sofort zu sprechen kam.
»Wie ist die Laufzeit, wenn der Wechsel auf einen Mitarbeiter in Brügge ausgestellt wird?«
»Sechzig Tage.«
»Venedig?«
»Zehn Tage.«
»Avignon?«
»Dreißig Tage.«
»Montpellier?«
»Sechzehn Tage.«
»Barcelona?«
»Sechzig Tage.«
»Paris?«
»Zweiundzwanzig Tage.«
Portinari nickte knapp. »Gut. Und jetzt weiter mit unserem Londoner Wechsel. Was geschieht als Nächstes? Was macht die Medici-Bank mit den vierzigtausend Pence, die ihr dort nach Vorlage des Wechsels ausgezahlt werden? Irgendwie muss das Geld ja wieder zu uns zurückkommen. Schickt man uns einen Sack Münzen durch einen Boten, immer in der Hoffnung, dass dieser auf der langen und gefährlichen Reise nicht das Opfer von Überfällen oder anderen Missgeschicken wird? Halten wir Bankiers Geldkisten mit allerlei verschiedenen Währungen bereit?« Ein spöttischer Ton schwang in seiner Stimme mit.
»Nein, nichts dergleichen, Signore Portinari. Wir erteilen unserem Mitarbeiter in London die Anweisung, dort einen Kunden zu suchen, dessen Geschäfte es nötig machen, dass er einen Kredit in dieser Höhe aufnimmt, und der bereit ist, ihn spätestens nach neunzig Tagen, wie es üblich ist, hier in Florenz in Florin zurückzuzahlen. Zum Beispiel einen Händler, der in England Wolle einkaufen will und darauf spekuliert, dass er diese, wenn er in Italien eintrifft, zu einem wesentlich höheren Preis wieder verkaufen kann.«
Wieder nickte Falco Portinari knapp. »Und wie sieht nun dieser zweite, in London ausgestellte Wechsel aus? Ich nehme an, dort dürfte der Florin ja wohl so viel wert sein wie hier in Florenz, nicht wahr?«
Sandro unterdrückte ein Grinsen, denn das war ja das Kernstück eines jeden Wechselgeschäftes, aus dem die Bank ihre satten Gewinne zog. Dass nämlich die auf dem Wechsel angegebene Währung im Ausstellungsland immer einen gewissen Prozentsatz mehr wert war als dort, wo er fällig wurde. »Nein, in London ist das Pfund natürlich höher bewertet als in Florenz. Dort ist der Florin zurzeit nicht vierzig, sondern nur sechsunddreißig Pence wert. Das bedeutet, dass der Wollhändler in England einen Wechsel über eintausendeinhundertelf Florin unterschreibt. Ist der Wechsel dann hier bezahlt, hat unsere Bank in sechs Monaten einen Gewinn von elf Prozent gemacht, was aufs Jahr umgerechnet stolze zweiundzwanzig Prozent ergibt.«
Nun zeigte sich auf Falco Portinaris Gesicht ein höchst zufriedener Ausdruck. »In der Tat! Ich sehe, du hast das
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