Hüter der Macht
Augenblick empfinden musste: Ernüchterung und die bittere Erkenntnis, dass sich das berauschend strahlende Wunschbild, das sie sich von ihrem Ehemann gemacht hatte, auch mit viel Wohlwollen nicht einmal annähernd mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bringen ließ.
Lionetto Vasetti war zwar von kräftiger Gestalt, aber alles andere als gut aussehend. Sein Gesicht zierten keinerlei ausgeprägte männliche Züge, nicht einmal die Nase war markant, und die großen und leicht hervortretenden Augen, die unter dünnen Brauen lagen, hatten etwas Froschartiges. Zudem erinnerten seine kräftigen Wangen an die Backen eines Hamsters. Die Stirn war hoch, das braune Haar für einen Mann seines Alters schon auffallend schütter. Nein, Lionetto Vasetti war gewiss nicht der Mann, den Fiametta sich erträumt hatte. Und die wenigen artigen Komplimente, die er ihr an diesem Morgen machte, änderten nichts an ihrer Enttäuschung.
»Wer nach seinen eigenen Vorstellungen leben will, darf nicht als Frau geboren werden!«, beschied Donna Simona ihre Tochter mit der ihr eigenen Nüchternheit, als Fiametta sich später bei ihr beklagte, dass ihr Bräutigam so gar nichts Ansehnliches an sich habe. »Und was Lionetto Vasetti betrifft, so darfst du dich glücklich schätzen und du hast deinem Vater für seine Großzügigkeit auf Knien zu danken, dass du in diese vornehme Familie einheiraten darfst! Mehr ist dazu nicht zu sagen – und mehr möchte ich dazu von dir auch nicht hören!«
Fiametta vergoss an diesem Tag mehr als nur ein Mal Tränen, aber irgendwann fand sie sich dann doch mit ihrem Schicksal ab, woran Tessas geduldiges Zureden einen großen Anteil hatte. Sie tröstete Fiametta damit, dass ihre Verbindung mit Lionetto Vasetti für sie und ihre Familie einen gesellschaftlichen Aufstieg bedeutete und dass sie nun Herrin in ihrem eigenen Haus sein werde.
»Und jetzt freut Euch auf Euren Ringtag nächste Woche!«, sagte sie energisch, als sich das erste Lächeln auf Fiamettas Gesicht zeigte. »Euer Bräutigam wird Euch bestimmt wunderschöne Geschenke bringen.«
Wie gern hätte Tessa an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilgenommen, aber als Zofe war ihr das natürlich verboten. So ließ sie sich von Gemma ausführlich erzählen, wie solch ein Tag ablief. So konnte sich Tessa ein wenig vorstellen, was ihre junge Herrin erleben würde.
Am Morgen des Ringtags würden sich die beiden Väter als Erstes zum Notar begeben, um den Vertrag über die Mitgift abzuschließen. Die Eheschließung war für die Panella und die Vasetti wie üblich ein eher weltliches Geschäft, das unter Männern abgeschlossen wurde und bei dem in begüterten Kreisen Notare und nicht Priester die entscheidende Rolle spielten. Der Segen der Kirche galt zwar als willkommenes und angenehmes Beiwerk, war jedoch nicht zwingend.
Dann würden sich die beiden Väter zusammen mit dem Notar in das Haus der Braut begeben. Dort würde der Notar das Paar in Gegenwart der versammelten Familie und der Gäste fragen, ob sie dem Vertrag zustimmten, daraufhin würde der Notar die rechte Hand von Fiametta Panella Lionetto Vasetti reichen und der würde ihr dann einen kostbaren Goldring an den Finger stecken. Welch wunderbarer Augenblick! Tessa stellte sich vor, wie glücklich Fiametta sich fühlen musste, auch wenn Lionetto Vasetti nicht der Mann ihrer Träume war.
Von dem Fest im Haus der Panella, das sich bis in den frühen Abend hinzog, bekam Tessa kaum etwas mit. Nachdem sie mit den aufwendigen Vorbereitungen betraut gewesen war, Fiametta für den großen Tag herzurichten, musste sie in der Küche helfen und hörte nur von fern, wie die geladenen Gäste feierten. Als die Dunkelheit hereinbrach, wurden von der Dienerschaft mehrere Dutzend Fackeln entzündet und die Festgesellschaft begleitete die festlich geschmückte Braut unter Glückwünschen und Hochrufen in ihr zukünftiges Heim in der Via San Gallo, schräg gegenüber vom Kloster San Marco. Es war ein geräumiger Palazzo, der das Haus der Panella an Pracht weit übertraf. Dort ging die Feier noch lange weiter.
Tessas Herz wurde beim Abschied von Gemma schwer, wusste sie doch nicht, was sie in ihrem neuen Zuhause erwartete. Doch die ältere Frau machte ihr Mut und versicherte ihr, sie so bald wie möglich zu treffen.
In der Via San Gallo bezog Tessa ihre winzige Kammer, machte sich ein wenig mit ihrer neuen Umgebung vertraut und bemühte sich vor allem, einen guten Eindruck auf die Bediensteten der Vasetti zu machen,
Weitere Kostenlose Bücher