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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Achte lieber darauf, dass die Dienerschaft ordentlich arbeitet und keine Zeit zum Müßiggang hat. Du bist schließlich die Frau des Hauses! Also verhalte dich auch so! Sei streng und lass ihnen nichts durchgehen!«
    Tessa hielt während der ganzen Zeit den Kopf gesenkt und knickste, als Donna Simona schließlich das Zimmer verließ. Insgeheim war sie heilfroh, dass sie nicht länger im Haus der Familie Panella und unter Donna Simonas Fuchtel leben musste. Hier im Palazzo der Vasetti gab es nichts, worüber sie sich hätte beklagen müssen. Sie kam mit den anderen Bediensteten gut zurecht und sie hatte sich mit Carmela sogar ein wenig angefreundet.
    Die Köchin war nicht nur eine warmherzige, sondern auch eine kluge Frau. Tessa hörte ihr gern zu, wenn sie, während sie nach der Abendmahlzeit die Küche säuberte, aus ihrem Leben erzählte, wie sie heimlich, gegen den Willen ihres Vaters, lesen und schreiben gelernt hatte oder wie sie sich unsterblich in einen jungen Mann verliebt hatte, der irgendwann in den Krieg gezogen war und den sie nie wiedergesehen hatte. Carmela strahlte viel Wärme und Freundlichkeit aus und Tessa fand in ihr eine Vertraute, ja fast eine mütterliche Freundin. Sie tröstete sie ein wenig über den Verlust der alten Gemma hinweg, die sie nur gelegentlich bei Besorgungen in der Stadt treffen konnte.
    Fiametta jedoch hatte allen Grund, sich zu beklagen und sich zu wünschen, die Wahl ihres Vaters wäre auf einen anderen, umgänglicheren Ehekandidaten als Lionetto Vasetti gefallen. Und das betraf nicht allein die Nächte, in denen sie das Bett mit ihm teilen musste. Es stellte sich nämlich schnell heraus, dass ihr Mann von äußerst pedantischem Wesen war und keine Gelegenheit ausließ, sie wie ein kleines Kind zu belehren. Ständig hatte er etwas an ihr auszusetzen. Mal rügte er ihre angebliche Verschwendungssucht, nachdem sie sich eine gar nicht so teure winterwarme Haube gekauft hatte, mal schalt er sie, weil sie sich seiner Ansicht nach bei Tisch zu lebhaft benommen hatte.
    »Es steht einer Vasetti nicht gut zu Gesicht, die Stimme zu heben, wie gewisse hochmütige Damen das zu tun belieben. Unsere Familie ist ja nicht taub, Fiametta!«, hieß es einmal. Ein anderes Mal, nach einem Besuch von Freunden des Hauses, bei dem reichlich Wein getrunken worden war, rügte er griesgrämig: »Dieses affektierte Possenreißen überlasst Ihr bitte tunlichst den Narren und dem fahrenden Volk! An unserem Tisch will ich derlei Überspanntheit nicht wieder erleben!«
    Tessa kam ihren Pflichten als Zofe und als Vertraute mit aufrichtigem Mitgefühl für ihre Herrin nach. Dass Fiametta sich im Palazzo der Vasetti wie eine Fremde fühlte und nicht wie die neue Herrin, führte jedoch dazu, dass sie sich schon nach wenigen Wochen wie eine Schnecke in das schützende Gehäuse ihrer Privatgemächer zurückzog und darauf bestand, Tessa stets in ihrer Nähe zu wissen. Fiametta klammerte sich geradezu an sie.
    Dadurch kam Tessa nur noch selten aus dem Haus und so freute sie sich auf jeden Sonntagmorgen, wenn die Familie Vasetti die Messe in der Kirche Santissima Annunziata besuchte. Immer wieder hoffte sie, ein ganz bestimmtes Gesicht in der Menge zu finden, doch jedes Mal kehrte sie enttäuscht zurück in den Palast, der ihr allmählich wie ein Gefängnis vorkam.
    Denn im Grunde ihres Herzens wusste Tessa, dass ihre Hoffnung auf Sand gebaut war. Denn woher sollte Sandro wissen, in welches Viertel sie mit ihrer Herrin nach der Hochzeit gezogen war und welcher Kirche sich die Familie Vasetti zugehörig fühlte? Sie hatte versucht, ihm von der bevorstehenden Heirat zu erzählen, aber ausgerechnet an jenem Sonntag, an dem die Gelegenheit dazu gewesen wäre, hatte sie vergeblich in der Menge nach ihm gesucht.
    Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. An einem kalten, sonnenhellen Morgen Ende Oktober beschloss sie, heimlich die Wollbottega aufzusuchen, in der Sandro arbeitete.
    Ein Botengang zur Apotheke, wo sie für Fiametta die Zutaten für ihre Creme und ein Fläschchen Bleichmittel zum Aufhellen ihres Haars kaufen sollte, eröffnete ihr die Gelegenheit, das Haus in der Via San Gallo zu verlassen.
    Als Erstes erledigte sie die Einkäufe, dann machte sie sich eiligst auf den Weg nach Santa Croce, um dort die Wollbottega der Medici zu suchen. Die genaue Adresse kannte sie nicht. Sie wusste nur, dass die Bottega irgendwo zwischen dem Kloster Santa Croce und dem Stadttor Porta alla Croce lag. Vermutlich würde Fiametta

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