Hüter der Macht
erblickte sehr wohl die alte Zofe, die stets in Tessas Begleitung war, aber von Tessa selbst fehlte jede Spur.
Sein Mut sank, während er kaum das Ende des Gottesdienstes abwarten konnte. Sobald der letzte Segen gesprochen war, eilte er nach draußen, um die Zofe am Portal abzufangen. Was, wenn Tessa krank geworden war? Oder noch schlimmer – wenn ihre Herrschaften sie verkauft hatten? Schon mehr als einmal hatte Tessa ihm erzählt, wie sie unter den Launen der jungen Fiametta zu leiden hatte. Er spürte, wie alles Blut aus seinem Kopf wich. Denn auf einmal wurde ihm so richtig bewusst, wie sehr er Tessa bereits in sein Herz geschlossen hatte.
Der kühle Herbstwind trieb über die Piazza und Sandro zog seinen Umhang enger zusammen, als er in der Menschenmenge, die aus der Kirche strömte, endlich die alte Zofe Gemma entdeckte. Erleichtert eilte er auf sie zu.
»Erinnert Ihr Euch noch an mich?«, fragte er aufgeregt, nachdem er sie vorher ehrerbietig gegrüßt hatte.
»Natürlich erinnere ich mich«, antwortete die Zofe ein klein wenig entrüstet. »Ich bin zwar schon alt, aber mein Geist ist noch jung! Sandro Fontana ist Euer Name, nicht wahr?«
Sandro nickte. Er wollte schon nach Tessa fragen, aber die Alte kam ihm zuvor. »Ich gehe davon aus, dass Ihr Euch nicht auf den Weg nach Santa Maria Novella gemacht habt, um mit mir zu plaudern. Habe ich recht?« Ein spöttisches Lächeln legte sich auf ihr faltiges Gesicht.
»Nun … ich …« Sandro wand sich vor Verlegenheit.
»Und ich muss Euch leider sagen, dass Ihr umsonst gekommen seid, wenn Ihr Tessa sehen wollt«, unterbrach sie ihn barsch. »Ihr würdet auch am nächsten Sonntag umsonst kommen.«
»Aber warum?«, fragte Sandro mit belegter Stimme. Was war geschehen? Hatten sich tatsächlich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet? »Geht es ihr nicht gut? Ist sie vielleicht …«
»Ich kann Euch nicht sagen, ob es ihr gut geht oder schlecht.« Plötzlich wurden die Gesichtszüge der alten Frau weich und Traurigkeit breitete sich auf ihrem Angesicht aus. »Ich selbst habe seit der Heirat ihrer jungen Herrin noch nicht viel von ihr gehört.«
Sandro starrte sie verblüfft an. Fiametta hatte geheiratet? Aber wann?
»Ja, Ihr habt schon richtig verstanden«, sagte Gemma und schaute sich vorsichtig nach ihren Herrschaften um, doch die Panella machten keine Anstalten aufzubrechen. Ganz im Gegenteil, Donna Simona stand wie üblich mit mehreren prächtig gekleideten Frauen aus der besten Gesellschaft zusammen. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestemmt und schüttelte immer wieder ärgerlich den Kopf, als ob sie sich der schlimmsten Unterstellungen erwehren müsste.
»Fiametta ist nun eine Vasetti«, raunte Gemma Sandro zu. Sie beugte sich zu ihm vor und flüsterte: »Auch wenn Lionetto Vasetti nicht gerade das ist, was man einen schönen Mann nennt …«
Noch einmal schaute sie vorsichtig zu Donna Simona hinüber, die eine unwirsche Handbewegung machte, dem kleinen Grüppchen hoheitsvoll den Rücken zudrehte und davonstolzierte.
Hastig raffte Gemma ihre Röcke. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie.
»Bitte nicht! Ich muss Tessa einfach wiedersehen … Bitte, könntet Ihr …«
Gemma zögerte einen Moment. »Nun«, sagte sie und seufzte kaum hörbar, »auch wenn ich es besser wissen müsste, Sandro Fontana: Der Palazzo von Lionetto Vasetti steht in der Via San Gallo. Wenn Ihr Eure Tessa wiedersehen wollt, dann habt Ihr dort vielleicht Glück.«
Mit diesen Worten eilte sie grußlos davon. Sandro blieb noch lange auf der Piazza vor der Kirche stehen und blickte der alten Zofe nach. Erst jetzt spürte er, wie die Erleichterung nach seinem Herzen griff, und ihm fiel auf, dass er Gemma noch nicht einmal gedankt hatte. Dabei hatte sie dafür gesorgt, dass doch noch nicht alles verloren war!
16
S o schnell stirbt es sich nicht, Fiametta! Schon gar nicht an den zweifellos unerquicklichen ehelichen Pflichten, denen wir Frauen uns nun mal unterwerfen müssen!«
»Aber wie kann ich denn …«, setzte Fiametta zu einem gequälten Widerspruch an.
Donna Simona schnitt ihr barsch das Wort ab. »Diesen Teil der Ehe musst du mit der nötigen Gefasstheit, die dein Ehemann von dir erwarten darf, gehorsam erdulden! Schließ die Augen und such Kraft im stillen Gebet, wenn Lionetto zu dir kommt. Und sieh gefälligst zu, dass du schwanger wirst! Dann wird er den Anstand besitzen, dass er dich eine Zeit lang in Ruhe lässt. Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.
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