Hüter der Macht
Schnaps. Den kann er jetzt gut gebrauchen!«
»Nein, keinen Alkohol mehr!«, wehrte Sandro sofort ab, während kräftige Hände von hinten unter seine Arme griffen und ihn auf die Beine brachten. »Nur einen Becher Wasser.«
Jacopo lachte. »Der erste November hat es in sich, nicht wahr? Morgen wirst du einen höllischen Nachdurst haben!«
Sandro wurde in das Hinterzimmer einer Taverne geführt, in dem nur ein runder Tisch mit einem halben Dutzend Stühlen stand. Auf der Tischplatte lagen zwischen mehreren Trinkbechern und einem Steinkrug ein lederner Becher und drei aus Knochen geschnitzte Würfel. Hinter einem Vorhang aus dickem rostbraunen Wollstoff schien sich der Schankraum zu befinden.
Der muskulöse Mann, der auf den Namen Paolo hörte, brachte einen sauberen Becher und einen Krug mit Wasser. Sandro nickte ihm dankbar zu und trank mit gierigen Schlucken. Das klare kalte Wasser tat ihm gut, auch wenn es die bohrenden Kopfschmerzen nicht vertrieb.
Jacopo bedeutete seinen beiden Gefährten, ihn mit Sandro allein zu lassen.
Erst jetzt fiel Sandro auf, dass Jacopo ganz und gar nicht mehr jener abgerissenen Bettlergestalt glich, der er damals vor der Dorfkirche begegnet war. Der zwergenhafte Mann trug ein ansehnliches Wams aus gutem schwarzen Stoff, das genauso wie seine Kappe mit schmalen weißen Paspelierungen in Rautenform verziert war, dazu weinrote Beinkleider, helle Strümpfe und kurze schwarze Stiefel aus gutem Leder.
»Du scheinst es nicht länger nötig zu haben, mit der Bettelschale auf Kirchenstufen um Almosen zu bitten«, stellte Sandro verblüfft fest.
Jacopo nickte. »Du hast mit deinen beiden Piccioli ein gutes Geschäft gemacht«, sagte er schmunzelnd.
Sandro blickte ihn verständnislos an, während er mit schmerzendem Arm zum Wasserkrug griff und seinen Becher füllte.
»Ich habe die beiden Münzen noch am selben Tag beim Würfelspiel eingesetzt und mit einem einzigen Wurf sechs daraus gemacht«, erzählte Jacopo. »Aber damit war meine Glückssträhne noch lange nicht zu Ende. Als ich vom Tisch aufstand, betrug mein Gewinn fast einen halben Silberflorin.«
»Du scheinst beim Würfeln eine glückliche Hand zu haben«, murmelte Sandro. »Aber das erklärt immer noch nicht deine edle Kleidung und wieso ich dir ausgerechnet hier in Florenz wiederbegegnet bin.«
Jacopo grinste. »Ich habe mich daran erinnert, was die reichen Kaufleute stets gegen das adlige Pack im Mund führen, das sich Wunder was auf seinen zusammengeraubten Landbesitz und seine herrschaftlichen Jagden einbildet. In den Wäldern und auf dem Land gewinnt man keinen Reichtum und keine Ehre, die gibt es nur in der Stadt! Und deshalb habe ich mich mit meinem Geld auf den Weg nach Florenz gemacht.«
»Wo dir das Glück offenbar weiter hold gewesen ist.«
»So ist es! Ich kann es immer noch nicht fassen, wie gut es für mich gelaufen ist. Manchmal denke ich, ich könnte auch ein Stück Scheiße von der Straße aufheben und es verwandelt sich im Handumdrehen in pures Gold«, sagte Jacopo und lachte. »Na ja, ganz so ist es dann doch wieder nicht gewesen. Aber die Geschäfte, die ich angepackt habe, sind alle prächtig gelungen. Deine zwei Piccioli haben mir jedenfalls viel Glück gebracht.«
»Und was für Geschäfte sind das?«, fragte Sandro, obschon er wusste, dass Jacopo wohl eher zwielichtigen Handel trieb.
Jacopo sah ihn auch prompt stolz an. »Geschäfte von der nicht gar so ehrenvollen Sorte. Andere stehen einem halben Krüppel wie mir nun mal nicht offen«, gab er unumwunden zu. »Hier ein bisschen Schmuggel an den Zollinspektoren vorbei, dort ein netter Profit aus einem Handel mit Hehlerware, dazu ein paar appetitliche Mädchen, die gern für meinen Schutz und eine saubere Kammer zahlen, und immer wieder ein guter Riecher, bei welchem Tölpel mit prall gefüllter Geldbörse es sich lohnt, Würfel oder Karten auf den Tisch zu legen. Kurz gesagt, ich mache vielerlei Geschäfte. Ist nämlich klug, immer mehrere Eisen im Feuer zu haben.«
»Dann pass nur auf, dass du dir an einem deiner heißen Eisen nicht einmal böse die Finger verbrennst!«, sagte Sandro. Er mochte die offene Art von Jacopo auf Anhieb, auch wenn Leute wie er nicht gerade sein üblicher Umgang waren.
»Keine Sorge, das wird nicht geschehen«, versicherte der ehemalige Bettler. »Bei meinen Beinen mag ich ja zu kurz gekommen sein, aber auf das, was hier drin sitzt, trifft das ganz bestimmt nicht zu.« Er tippte sich an den Kopf. »Da ist nichts
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