Hüter der Macht
legte sich auf ihre Wangen. »Ach, das … das habe ich erfahren, als ich ganz zufällig in der Nähe der Bottega war und dort nach dir gefragt habe.«
»Soso, ganz zufällig?«, neckte er sie.
»Vielleicht war es das Schicksal, das mich dorthin geführt hat«, konterte sie.
Nun lachten beide, war ihnen doch mit einem Mal die schwere Last der Ungewissheit und der Sorge um den anderen von den Schultern genommen worden.
Aber dann legte sich ein Schatten über Tessas Züge. »Ich muss gehen«, sagte sie traurig. »Meine Herrin kann sehr ungeduldig sein, wenn ich mich verspäte.«
Ihr Blick suchte den seinen und hielt ihn fest. Sandro spürte, wie sein Herz schneller zu klopfen begann. »Meine neuen Herrschaften besuchen die Messe in Santissima Annunziata«, fügte sie hastig hinzu. Dann zögerte sie. »Jetzt werden wir uns nie mehr aus den Augen verlieren, nicht wahr, Sandro?«, fragte sie schließlich und ihre Stimme klang auf einmal sehr ernst.
»Nie mehr«, wiederholte er leise.
Zögernd, fast widerwillig drehte sie sich um und verschwand zwischen den Menschen der Straße. Sandro verharrte noch lange an seinem Platz, ehe auch er sich umwandte und auf den Heimweg machte.
Er musste sich zusammenreißen, dass er vor lauter Freude nicht in die Luft sprang. Stattdessen pfiff er laut vor sich hin.
Nein, seine Glückssträhne war ganz und gar nicht gerissen! Das wusste er jetzt nur zu genau.
19
E in strenger Geruch nach Salben, Weihrauch, Kerzenwachs, fauligem Atem, altem Schweiß und urindurchtränkten Tüchern legte sich Cosimo und Lorenzo wie eine schwere Bleiplatte auf die Brust, als sie das abgedunkelte Zimmer betraten, in dem ihr todkranker Vater lag.
Die ausgezehrte Gestalt des Giovanni di Bicci de’ Medici wirkte verloren zwischen all den Kissen in seinem großen Bett. Die Vorhänge vor dem Fenster waren schon seit Längerem nicht mehr geöffnet worden, weil das Tageslicht seinen Augen schmerzte. Nur eine Kerze brannte. Sie warf ihr Licht auf ein kostbares Tafelbild mit der allerheiligsten Jungfrau Maria.
»Die Macht unseres Hauses … ruht auf Säulen von Gold, aber unsere … wahre Stärke … besteht darin … Vertrauen zu gewinnen«, stieß der Alte unvermittelt mit rasselndem Atem hervor. »Vergesst nie: Nur unsere Erfolge sollen ans Licht kommen … aber die Mittel zum Erfolg müssen immer im Schatten bleiben …«
Cosimo stellte sich zur Rechten seines Vaters an das Bett. »Quält Euch nicht länger, Vater! Spart Eure wenige Kraft für den Priester«, sagte er beruhigend und drückte sanft die knochige, kalte Hand. »Ihr habt uns schon früh gelehrt, wie wir Euer ruhmvolles Lebenswerk zu noch größerer Blüte führen können.«
Der Alte rang nach Atem und schüttelte unwillig den Kopf. Die wächsern bleiche Haut mit ihren dunklen Altersflecken spannte sich dünn über den spitz hervortretenden Wangenknochen. »Hört gut zu, meine Söhne!«, stieß er beschwörend hervor. »Euch erwarten unsichere Zeiten …«
Lorenzo stellte sich neben seinen Bruder und murmelte: »Hat es je sichere gegeben?«
»… deshalb seid allzeit wachsam vor den Fallstricken unserer Rivalen genauso wie vor dem eigenem Hochmut!«, fuhr ihr Vater eindringlich fort. »Sagt niemals in der Öffentlichkeit etwas, das dem Willen des Volkes entgegensteht, selbst wenn das Volk Dummheiten macht … Vermeidet es, die Menschen zu belehren, sondern sprecht immer sanft und wohlwollend … Geht niemals aus eigenen Erwägungen heraus in den Regierungspalast, sondern wartet, bis man euch ruft und euch nach eurer Meinung fragt … Denkt daran, ihr müsst dem Volk seinen Frieden und dem Handel seine Blüte erhalten … Sorgt dafür, dass niemand mit dem Finger auf euch zeigt … Verwahrt die Bücher mit den versteckten Konten sorgsam hinter Schloss und Riegel … Wird euch große Macht gegeben, dann regiert, ohne zu befehlen … Steter Tropfen höhlt den Stein, das Schwert aber wird an ihm stumpf … Tut allzeit wohltätige Werke und betet für die Verstorbenen … Dann wird euer Leben segensreich sein …«
»Ja, Vater, das versprechen wir Euch.«
Dann erteilte der Alte seinen beiden Söhnen den väterlichen Segen und bat sie, den Priester zu rufen, damit er die Beichte ablegen und die Sterbesakramente empfangen konnte.
Giovanni di Bicci de’ Medici starb am nächsten Tag, am Morgen des 20. Februar 1429. Er ging, wie die Florentiner es nannten, ein in das große Meer.
Damit war Cosimo als ältester Sohn nun auch offiziell das
Weitere Kostenlose Bücher