Hüter der Macht
wäre daran so ungewöhnlich? Florenz führt doch immer Krieg, solange ich zurückdenken kann. Wenn nicht gegen Pisa, Arezzo, Cortona oder sonst eines der vielen kleinen Fürstentümer, dann gegen Mailand oder Neapel. Wer heute Freund und Verbündeter ist, kann morgen schon Feind sein. Das war doch immer so.«
Tommaso stimmte ihm zu. »Was ja auch kein Wunder ist, wenn man sich die Karte von Italien und die fünf mächtigsten Gegner vor Augen hält, die im Land das Sagen haben. Da gibt es im Süden das Königreich Neapel, in der Mitte den römischen Kirchenstaat, dann unsere Republik Florenz und ganz im Norden das Herzogtum Mailand und die Republik Venedig – und alle belauern sich gegenseitig voller Argwohn, wer sich wohl wann mit wem gegen wen verbündet. Aber wie der letzte Krieg gegen Mailand gezeigt hat, sind alle fünf Gegner ungefähr gleich stark, und das ist eigentlich ganz beruhigend, wie ich finde. Denn nach dem Krieg mit Mailand ist es wieder genauso wie vor dem Krieg.«
»Aber was ist mit Lucca?«, fragte Sandro und gab einer der drallen und leicht geschürzten Schankfrauen einen Wink, ihnen noch einen Krug zu bringen. »Glaubt ihr, die Albizzi und ihre Parteigänger bringen die Signoria dazu, dass sie sich auf einen Eroberungsfeldzug gegen die Stadt einlässt?«
»Darauf wette ich«, sagte Matteo erhitzt. »Wer hier in Florenz die Macht haben will, muss Eroberungen vorweisen können. Das war schon immer so. Rinaldo degli Albizzi will ein neuer Niccolò da Uzzano werden und Neri Capponi will dem nicht nachstehen. Also brauchen sie einen großen, ruhmreichen Sieg. Denn mit einem Sieger legt man sich nicht an, auch nicht die Medici.« Bissig fügte er hinzu: »Und all die Condottieri müssen ihre Söldnerheere beschäftigen. Nur so können sie sie entlohnen. Notfalls werden sie irgendeinen Privatkrieg vom Zaun brechen.«
Über diesen und anderen Gesprächen saßen die drei bis spät in die Nacht im Cerca-Trova zusammen. Irgendwann machte Tommaso den Vorschlag, noch auf einen oder zwei Krüge Wein ins Pacino zu gehen. Dabei grinste er Sandro verschwörerisch zu.
Zu Sandros Verblüffung ließ Matteo sich überreden, der Hurenschenke einen Besuch abzustatten, Sandro jedoch winkte ab. »Lasst euch von mir nicht den Spaß verderben, aber für mich ist das nichts. Außerdem habe ich für heute genug Trebbiano getrunken. Ich bin froh, wenn ich noch heil den Weg zurück zum Mercato Nuovo finde.«
»Aber kein Wort zu Portinari oder sonst einem in der Tavola!«, raunte Matteo ihm draußen auf der Straße mit erhitztem Gesicht zu.
»Ist doch Ehrensache!«, versicherte Sandro.
Auf den Straßen und Gassen herrschte noch immer ein lebhaftes und lautes Treiben. Ausgelassen feiernd zogen die Menschen durch das Viertel.
Sandro trennte sich mit einem freundlichen Schulterklopfen von seinen Freunden. Ihn drängte es, in seine Kammer unter dem Dach des Bankhauses zu kommen und dort auf seine harte Bettstelle zu fallen, denn er war hundemüde und fühlte sich von dem vielen Wein reichlich angeschlagen.
Doch er war noch keine fünfzig Schritte weit gegangen, da drang ihm das Gebrüll von mehreren betrunkenen Männern entgegen, die sich mitten auf einer Kreuzung zweier Gassen eine wüste Prügelei lieferten. Schnell hatte sich eine dichte Menschenmenge aus schaulustigen Gaffern gebildet, sodass es für Sandro kein Durchkommen gab.
Angewidert schüttelte er den Kopf und bog in die nächste Gasse zu seiner Linken ab, um auf Umwegen wieder hinüber auf die andere Seite des Arno zu kommen.
Aber die Gasse machte schon bald einen scharfen Bogen in die falsche Richtung. Der stechende Geruch von verfaulten Abfällen, von Urin und Fäkalien stieg ihm in die Nase. Fette Ratten huschten kreuz und quer durch den Dreck.
Zwei Betrunkene, die irgendein Gossenlied grölten, kamen ihm torkelnd entgegen, rempelten ihn an und wankten unter rauem Gelächter weiter.
Bei der nächsten Gelegenheit bog Sandro nach rechts ab, um wieder halbwegs in Richtung des Flusses zu gelangen. Diese Gasse war noch schmaler. Sie führte an Hinterhöfen vorbei, deren Bretterverschläge teilweise so weit in die Gasse hineinragten, dass kaum zwei Menschen nebeneinander Platz fanden. Vom anderen Ende der Gasse drang lautes Stimmengewirr zu ihm und ein blasser Lichtschein fiel aus dem rückwärtigen Fenster einer Schenke in die Nacht.
Sandro ging zügig weiter, denn mit einem Mal wurde ihm mulmig zumute. Solch finstere Gegenden mied er sogar bei
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