Hüter der Macht
wenig Lust verspürte, noch weiter dem Geschwätz eines Betrunkenen zu lauschen. Doch es gelang ihm erst, sich Averardo und dessen weinseliger Beredsamkeit zu entziehen, als Lorenzo zu ihnen trat.
Hastig nutzte Sandro die Gelegenheit, sich zu verabschieden.
Doch noch im Hinausgehen schnappte er ein Gespräch auf, das ihm lange im Gedächtnis bleiben sollte.
Es war Cosimo de’ Medici selbst, der da zu Sandros Verblüffung mit dem fanatischen Rinaldo degli Albizzi zusammenstand, den Averardo als Wolf im Schafspelz bezeichnet hatte. Und tatsächlich versuchte Albizzi, Sandros obersten Dienstherr mit viel falscher Freundlichkeit und Schmeichelei von der Notwendigkeit eines Eroberungsfeldzugs gegen die Stadt Lucca zu überzeugen.
Cosimo widersprach ruhig und besonnen. Er schien sicher zu sein, dass ein solcher Krieg den Argwohn Sienas erregen könne, als nächste Stadt von Florenz angegriffen zu werden. Was dann womöglich zur Folge hätte, dass Siena oder Lucca sich um Beistand an den Herzog von Mailand wandten und dieser dann die Gelegenheit ergreifen würde, zu seinem eigenen Nutzen in diesen Krieg einzugreifen.
Selbst ein so erfahrener Staatsmann wie Niccolò da Uzzano hatte sich mehrfach gegen ein solch gewagtes Unternehmen ausgesprochen.
Der Streit dauerte an und Sandro wollte gerade durch die Tür schlüpfen, als sich Cosimos Stimme plötzlich erhob. »Mir erscheint es nur gerecht und ehrenhaft zu sein, dass ich den guten Namen und die Ehre meines Hauses dem Euren vorziehe und dass ich für meine Interessen arbeite, anstatt für die Euren!«, kanzelte er Rinaldo kurzerhand ab. »So werden Ihr und ich uns denn wohl so klug verhalten wie zwei große Hunde, die sich beschnuppern, wenn sie sich begegnen, und dann, weil sie beide scharfe Zähne haben, ihrer Wege gehen. Weshalb Ihr Euch nun Euren Angelegenheiten widmen könnt und ich den meinen!«
Kurz darauf stürmte der mächtige Rinaldo degli Albizzi an dem verblüfften Sandro vorbei zu einem Vertrauten. »Der alte Giovanni liegt in seinem Grab und nun haben wir es mit Cosimo zu tun«, keifte er. »Lasst es euch gesagt sein, dass von diesem Tag an eine neue Zeitrechnung für uns und Florenz beginnt. Doch der Teufel soll mich holen, wenn ich zulasse, dass die Uhr nun nach dem Takt der Medici schlagen wird!«
Wutentbrannt verließ er mit seinen Anhängern den Palazzo der Medici, gefolgt von Cosimos nachdenklichen Blicken und einem noch immer aufgewühlten Sandro, der sich nun endlich selbst auf den Weg machte.
D RITTER T EIL S EPTEMBER 1429 BIS A PRIL 1433
»Es ist unklug,
immer den Sieg davontragen zu wollen.«
Niccolò Machiavelli
1
W ährend in den ersten Septembertagen des Jahres 1429 die drückende Hitze des langen Sommers allmählich zu weichen begann, fieberte Fiametta mit nervöser Erregung der Stunde ihrer Niederkunft entgegen. Launische Gereiztheit wechselte mit angstvoller Unruhe ob der zu erwartenden Schmerzen und überschwänglicher Vorfreude, dass sie nun bald ihren ersten Sohn zur Welt bringen und damit ihre Stellung im Hause Vasetti endgültig festigen würde.
Es war für Tessa eine schwere Zeit, insbesondere die Monate, die sie mit ihr auf dem kleinen Landgut der Vasetti im Südosten der Stadt verbrachte. Denn damit blieben ihr für einen Großteil des Sommers die kostbaren sonntäglichen Lichtblicke verwehrt, Sandro zu sehen und mit ihm zu reden, während die Vasetti nach der Messe noch eine Weile vor der Kirche mit ihren Freunden und Nachbarn zusammenstanden. Und neuerdings nahm sich Fiamettas Ehemann viel Zeit dafür.
Lionetto Vasetti war im Frühjahr in eine einflussreiche Kommission gewählt worden, die für die Instandhaltung der Stadtmauern, Wehrtürme und Straßen verantwortlich war. Seitdem sonnte er sich in den Gunstbezeugungen, die man ihm entgegenbrachte.
Denn dieses Amt war ein Sprungbrett zu noch höheren Ehren. Lionetto Vasetti war ein Mann, mit dem man fortan auch bei der Verteilung der höchsten Staatsämter rechnen musste.
Zu Beginn der zweiten Septemberwoche setzten schließlich kurz nach Mitternacht die Wehen bei Fiametta ein und ein rasch ausgesandter Bote benachrichtigte die Hebamme, deren Dienste sich die Vasetti versichert hatten. Die ebenso stämmige wie kratzbürstige Person ließ sich jedoch viel Zeit, bevor sie sich zum Palazzo der Vasetti begab. Sie verbat sich die Gegenwart von Tessa im Gemach ihrer Herrin, hielt sie jedoch mit herrischem Gehabe auf Trab. Ständig rief sie nach ihr, damit sie frische
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